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0478 - Der Friedhof der Lebenden

0478 - Der Friedhof der Lebenden

Titel: 0478 - Der Friedhof der Lebenden
Autoren: Werner Kurt Giesa
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Valery Cristeen schloß die Augen und zählte bis fünf. Als sie sie dann wieder öffnete, hatte sich das Bild nicht verändert. Die hübsche Blondine war und blieb verschwunden.
    Sie war praktisch vor Valerys Augen entführt worden!
    An Gespenster hatte Valery nie geglaubt, obgleich ihre Großmutter eine Voodoo-Mamaloi gewesen war und der kleinen Valery mit allerlei gruseligen »wahren Geschichten« zahllose schlaflose Nächte bereitet hatte, ehe der Teufel sie holte. Valery hatte ihre Großmutter immer gehaßt; sie und den Voodoo-Kult mit seinen düsteren Riten und den lebenden Toten, den Zombie-Sklaven. Daß Voodoo aber nicht nur aus Zombies und Nadelpuppen bestand, sondern auch positive Seiten besaß, davon hatte Valery nie etwas mitbekommen. Die Voodoo-Gemeinde, der ihre Familie angehörte, praktizierte dunklen Zauber, von dem die Kreolin sich schaudernd abwandte. Um nicht ebenfalls in den Sog der Magie gezogen zu werden, hatte sie sich sogar völlig von ihrer Familie gelöst. Daß sie jetzt in Baton Rouge unter einem anderen Namen lebte, wußte in New Orleans niemand. Es sei denn, der Houngan… aber welches Interesse sollte er daran haben, einer einzelnen Person mit seinen Zaubereien nachzuspüren, die seiner Voodoo-Gemeinde ohnehin nicht gefährlich werden konnte?
    Dennoch wachte Valery manchmal nachts auf, schweißgebadet, und lief dann zur Tür, um nachzuschauen, ob nicht jemand einen toten Hahn über ihr aufgehängt hatte. Sie wurde die Angst nicht mehr los, die ihre Großmutter - der Teufel möge sie eine Ewigkeit lang im Höllenfeuer brennen lassen - seinerzeit in das Herz des kleinen Mädchens gepflanzt hatte, um es der Macht des Zaubers hörig zu machen.
    Nur hatte sie damit das Gegenteil erreicht. Valery d’Auberge, die sich heute Valery Cristeen nannte, war aus der Heimat und der Gemeinde geflohen. Und sie wollte nichts von dem Zauber wissen, von diesem albernen Hokuspokus, mit dem ein paar Machtsüchtige fast ein ganzes Stadtviertel unter Kontrolle hielten.
    Nein, sie glaubte nicht an Magie und an Zauber, sagte sie sich immer wieder.
    Und doch fürchtete sie sich.
    Nur zögernd trat sie aus dem Hauseingang, in den sie sich eigentlich nur zurückgezogen hatte, um eine Zigarette in Brand setzen zu können. Es ging momentan ein heftiger Wind durch die Straßenschlucht, der allerdings keine Abkühlung brachte. Der einzige Vorteil war, daß bei diesem Wind die Stechmücken nicht flogen.
    Der Hauseingang war vermutlich Valerys Rettung geworden. Denn wer eine Frau auf offener Straße entführte, der beseitigte auch Zeugen. Und dann dieses gespenstische Verschwinden der Limousine! Valery hatte versucht, sich das Kennzeichen einzuprägen, aber es war ihr nicht gelungen. Sie glaubte sich an ein E und ein A zu erinnern, aber das war auch schon alles.
    In der linken Hand hielt sie immer noch die Zigarettenpackung, in der rechten das Feuerzeug. So trat sie auf die Straße hinaus. Gerade dort, wo die Blonde entführt worden war, brannte eine Straßenlaterne. Die Lampen zwanzig Meter weiter rechts und links waren dunkel. Vor ein paar Nächten hatten Rowdies Schießübungen gemacht, einige Fensterscheiben und die Straßenlampen zerschossen. Derartige Aktionen waren in dieser Gegend, die vorwiegend von Farbigen bewohnt war, an der Tages- bzw. Nachtordnung. Valery hatte sich schon gewundert, daß eine weiße junge Frau sich um diese späte Nachtzeit allein durch die dunklen Straßen wagte. Aber sie mußte wohl aus einem der Häuser gekommen sein, und in der Nähe parkte ein Wagen neuerer Bauart, der allein deshalb und wegen seines gepflegten Zustandes eigentlich nicht hierher gehörte. Wer hier ein Auto besaß, hatte es meist für zwanzig oder dreißig Dollar vom Schrotthändler geholt und mit ein paar Billigteilen wieder notdürftig fahrtüchtig gemacht. Zu mehr reichte bei den meisten das Geld nicht.
    Valery erreichte die Stelle, an der die Blonde gekidnappt worden war. Sie spürte ein eigenartiges Kribbeln im Nacken, als würde sie beobachtet. Aber als sie sich umdrehte, war niemand in der Nähe. Auch die Fenster der Häuser waren alle geschlossen und dunkel. Kein Anwohner mischte sich in Dinge ein, die auf der Straße geschahen. Die Blonde hatte völlig umsonst um Hilfe geschrien.
    Aber warum war der Wagen unsichtbar geworden?
    Fast hätte Valery an einen Alptraum geglaubt, aber die Berührung an ihrer Ferse erinnerte sie an die Wirklichkeit. Instinktiv trat sie aus; die Ratte, die gerade hatte zubeißen wollen,
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