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Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte

Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte

Titel: Maria sucht Josef - Eine weihnachtliche Liebesgeschichte
Autoren: Nicole Joens
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viele Menschen in kopflose Angsthasen verwandelt. Bereits am Telefon hatte Miriam ein gutes Gefühl bei der Hebamme in Erding. Sie hatte vielen werdenden Müttern in Not geholfen. Nur war der Weg zu ihr weit, und Miriam konnte unmöglich riskieren, noch einmal mit den Kindern beim Schwarzfahren in der S-Bahn erwischt zu werden. Die Polizei fahndete bereits nach ihr. Beim nächsten Mal würde man ihr sofort die Kinder wegnehmen.
    Während sich der Feierabendstau langsam auflöst und sich das Taxi an weihnachtlich dekorierten Schaufenstern vorbeischiebt, streichelt Miriam mit sanften Bewegungen die Kleine. Anna-Sophie beginnt sich endlich so weit zu entspannen, dass sie ihre Puppe loslassen kann. Es ist das erste Mal an diesem Tag. Bei der unschönen Szene in der gynäkologischen Praxis hatte Anna-Sophie ihre zerfranste Papagena fast zerquetscht. Im Kindergarten hatte sie unaufhörlich an ihren Lippen geknabbert, weil sie die zunehmende Spannung gespürt hatte. Auf der Straße war Anna-Sophie dann ihre Puppe in den dreckigen Schnee gefallen. Mit einem Mal hat das Mädchen begonnen, so verzweifelt zu weinen, wie sie das nach dem Tod der Eltern viele Nächte lang getan hatte. Tiefe schmerzhafte Wunden sind an diesem schwarzen Dienstag im vergangenen Februar entstanden, die noch lange nicht verheilt sind. Miriam hat keine Ahnung, wie lange so etwas braucht. Nach drei Monaten soll ein normaler, gesunder Mensch halbwegs über so einen Verlust hinweg sein. Das zumindest sagte Miriams Gynäkologin, als Miriam wissen wollte, ob ihre Trauer dem Baby Schaden zufügen könnte. Aber nur drei Monate, um einen solchen Verlust zu verkraften? Dann müssen Miriam und die Kinder sehr weit weg von normal oder gesund sein. Keiner von ihnen hat bis jetzt, zehn Monate später, auch nur ansatzweise akzeptiert, dass sie dieses Weihnachten ohne Wassili und Carola feiern müssen.
    Anna-Sophie hat begonnen, leise mit ihrer Puppe zu sprechen, wie sie das öfter tut, wenn sie sich wohlfühlt. Miriam lächelt traurig, als sie den Worten des Mädchens zuhört. Anna-Sophie erzählt Papagena von den Eltern, die oben auf einer Wolke auf einer ganz besonderen Reise sind, von der sie bald zurückkehren werden. Drei Monate? Vielleicht eher drei Jahre. Oder dreißig Jahre. Manche Menschen verkraften es niemals, jemanden zu verlieren, den sie aus tiefstem Herzen geliebt haben.
    »Ich heiße Joe. Und du?« Miriam schmunzelt, als Bene stolz nicht nur seine beiden Vornamen, sondern auch seinen Familiennamen nennt. Benes zweiter Vorname Dimitri sowie sein Familienname Ananiaschwili sind typisch georgische Namen. Wassili Ananiaschwili, ein Geigenbauer aus Tiflis, hatte sich vor achtzehn Jahren im Umfeld der Münchner Philharmonie im ehemaligen Münchner Arbeiterviertel Haidhausen niedergelassen. In der Philharmonie hatte er Miriams Schwester Carola als Bratschistin kennengelernt und sich auf Anhieb in sie verliebt. Es hatte danach noch einige Jahre gedauert, bis auch Carola sich fest an Wassili binden wollte, aber eigentlich hatte sie gar keine andere Wahl. Carola und Wassili waren von Anfang an das ideale Paar.
    Miriam rührt es, mit wie viel Stolz Bene von seinem Vater spricht. Natürlich ist Wassili für seinen Sohn auch nach einem guten Dreivierteljahr immer noch am Leben, denn Bene erzählt in der Gegenwart. Miriam lässt ihn, denn was geht es den Cowboy an, dass alles ganz anders ist, als es scheint. Der Taxifahrer interessiert sich ohnehin vor allem dafür, wie der Junge seine Musik findet, die er jetzt aufdringlich laut in seinem Taxi spielt. Bene ist höflich, aber Miriam kennt ihn gut. Genau wie sie kann auch der Junge mit Interpretationen alter Jazz- und Bluesstücke nicht sehr viel anfangen. Wenn Miriam eines gar nicht leiden kann, dann sind es schlechte Imitate. Sie kennt jedes der Stücke, die der Cowboy dem Jungen vorspielt, im Original und vergeht auf dem Rücksitz vor Peinlichkeit. Wie kann man nur die Blues Brothers imitieren, die doch ihrerseits schon Imitatoren waren? Am liebsten würde sie den Cowboy bitten, seine Musik auszumachen, aber sie beißt sich auf die Zunge. Keinesfalls will sie ihn jetzt schon verärgern. Um sich abzulenken, sieht Miriam aus dem Fenster. Inzwischen ist die blaue Stunde gänzlich zur Nacht geworden. Das Taxi fährt mit relativ hoher Geschwindigkeit über die Autobahn in Richtung Norden, aber Miriam fühlt sich sicher. Er ist ein guter Fahrer. Sie sieht ihn sich genauer an. Vorhin waren Miriam bereits seine
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