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Maria, ihm schmeckts nicht!

Maria, ihm schmeckts nicht!

Titel: Maria, ihm schmeckts nicht!
Autoren: Jan Weiler
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Schwimmblase.
    Ich habe mich damit schnell abgefunden. Alle an-
    deren nicht. Ich wurde in Swimmingpools geschubst,
    untergetaucht und drangsaliert von Schwimmern
    ohne Gehirn. Es gibt für mich nichts Widerlicheres
    als so genannte Wasserratten mit dem Seepferdchen-
    Abzeichen des DLRG. Das bekam man, wenn man
    ein bißchen hin und her kraulen konnte, und es war
    meine erste Erfahrung mit der Leistungsgesellschaft.
    Ich schaffte das Seepferdchen nicht und wurde Opfer des Sozialdarwinismus, der kleine Kinder in Monster verwandelt, die nichts Besseres zu tun haben, als
    Nichtschwimmer zu quälen und nass zu spritzen. Ich
    finde, Kinder haben ein Recht darauf, selbst zu
    entscheiden, ob sie lieber trocken oder pitschnass
    sind.
    Auf dem Gymnasium wurde mir diese Entschei-
    dung dann abgenommen. Jeden Freitagmorgen wur-
    de ich gezwungen, in einen blauen Bus zu steigen,
    und anschließend fuhr die Klasse in ein Schwimm-
    bad. Meistens ging ich als Letzter in den Umkleide-
    raum. Der war gekachelt und stank modrig nach
    nassen Handtüchern und billiger Seife. Die Ausge-
    lassenheit der anderen Jungs machte mir Angst.
    Zuerst unter die Dusche. Die Brausen hatten Knöpfe, und wenn man draufdrückte, kam für zwanzig
    Sekunden Wasser. Ich habe immer mitgezählt und
    zusammengerechnet, wie viel von der Schwimm-
    stunde nach der Fahrt, dem Umziehen und zehn Mal
    Duschknopf drücken noch übrig bliebe.
    Irgendwann musste ich dann doch ins Wasser. Es
    war eiskalt, furchtbar und tief. Kein Mensch hat mir jemals gesagt, dass man vor dem Baden kalt duschen
    sollte, damit sich das Wasser hinterher wärmer an-
    fühlt. Ich duschte immer warm und erfror anschlie-
    ßend fast. Zudem schluckte ich jedes Mal mindestens drei Liter dieser ekelhaften Chlorbrühe, die mich von innen desinfizierte.
    Dann wurden grässliche Spiele gemacht: Wett-
    schwimmen, Fangen, Springen. Wenn der Lehrer die
    Anwesenheit kontrollierte, rief er alle mit dem Vornamen auf. Mich hat er damals nie mit dem Vorna-
    men aufgerufen, nur mit dem Nachnamen. Ich war
    ein Nichtschwimmer oder, viel schlimmer, dasselbe
    Wort ohne »chwimmer«: ein Nichts. Ein Nichts kann
    nichts verweigern, also simulierte ich Schwimmen.
    Mit dem linken Arm täuschte ich Schwimmbewe-
    gungen vor, mit dem rechten zog ich mich heimlich
    an der Ablaufrinne des Beckens entlang. Ich bekam
    ein ziemliches Tempo drauf, bis mir der Lehrer mit
    seinen Sandalen auf die Finger trat und sagte:
    »Das ist kein Schwimmen. Du sollst schwimmen.
    Schwimmen ist ein Urinstinkt des Menschen. Das
    kann jeder.« Ich schwamm aber nicht und schwor
    mir, es nie, nie, niemals zu lernen. Nicht für ihn und nicht für jemand anders. Und für mich selbst auch
    nicht. Mein Urinstinkt befahl mir eher, ihm eine zu scheuern, aber dafür war ich noch zu klein.
    Jeden Freitagmorgen übermannte mich eine neue
    Krankheit. Ich arbeitete hart daran, meine Mutter zu täuschen. Ich schlief donnerstags bei weit geöff-netem Fenster und ohne Decke ein, um mich zu er-
    kälten. Ich trank heiße Cola und klemmte mir Tabak
    unter die Achseln, weil mir jemand erzählt hatte, das sei ein todsicherer Trick, um Fieber zu bekommen.
    Ich hustete in Vollendung und legte mir den jämmer-
    lichen Gesichtsausdruck eines Dahinscheidenden zu.
    Als Zugabe rieb ich mir so lange die Stirn, bis sie glühte. Wenn mir der Auftritt gut gelang, schloss ich einen unausgesprochenen Pakt mit meinen Eltern.
    Die riefen in der Schule an und teilten mit, dass ich absolut nicht in der Lage sei zu schwimmen, und ich genas dafür wie durch ein Wunder gegen halb zehn
    und ging zum Mathematikunterricht.
    So quälte ich mich durch die fünfte Klasse, und als ich im Frühjahr 1978 zum letzten Mal mit dem blauen Bus von dem Schwimmbad zur Schule zurückfuhr,
    wusste ich, dass ich nie wieder ein Schwimmbad von
    innen sehen würde. Das habe ich geschworen und
    wahr gemacht.
    Wer seine Ferien am Meer verbringt, ist jedoch vor
    selbst ernannten Schwimmlehrern niemals sicher. In
    so gut wie jedem Urlaub hat jemand versucht, mir das Schwimmen beizubringen. Zu Hause bewahre ich
    mehrere Sätze Schwimmflügel auf, die ich von Spaß-
    vögeln über die Jahre zum Geburtstag bekommen
    habe. Ich würde sie gerne weiterverschenken, habe
    dafür aber im Bekanntenkreis zu wenig Sechsjährige.
    Auch Marco hat diesen Samaritertick und will mir
    unbedingt Brustschwimmen zeigen, was ich nach
    wie vor für eine, wenn nicht sogar die absolut lächer-lichst albernste Art der Fortbewegung
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