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Maria, ihm schmeckts nicht!

Maria, ihm schmeckts nicht!

Titel: Maria, ihm schmeckts nicht!
Autoren: Jan Weiler
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wie zwei kleine Ta-
    schenlampen und irrlichtern zwischen uns umher. Er
    hat extrem viele Zähne, mir scheint es fast, als habe er sogar doppelt so viele Zähne wie normale Menschen. Einige von ihnen glänzen golden. Er trägt ein kariertes Flanellhemd und darunter ein Unterhemd,
    dem ein Dschungel aus grauem Brusthaar entweicht.
    Ganz schwer zu sagen, was jetzt kommt. Ich denke:
    Entweder er bereitet gerade in Gedanken die
    Amputation meines Fingers vor oder er wird gleich
    anfangen zu weinen. Er schluckt und macht ein
    helles Geräusch, eine Art Piepsen. Seine Stimme
    klingt jetzt heiser.
    »Du willste heiraten?«
    »Ja, Papa.«
    »Den da?«
    »Ja, den da. Und keinen anderen.«
    Seine Stimme dreht nun ins Jammerige. Er schaltet
    eine Art Vibrato ein und gestikuliert wie bei einem Sturmgebet.
    »Aber du biste noch so junge. Viel zu junge.«
    »Ach komm, ich bin sechsundzwanzig.«
    »Heißte das etwa, du kommste nie wieder ssu uns
    nach Haus?«
    »Papa, ich wohne seit fünf Jahren nicht mehr hier.
    Jetzt mach bitte nicht so ein Theater.«
    »Ursula, das Kinde will uns verlasse.«
    »Ich finde, wenn die beiden wollen, dann sollen sie ruhig heiraten. Ist doch ein netter Kerl.«
    Tatsächlich frage ich mich, woher sie das wissen
    will, sie hat sich ja praktisch noch nie mit mir unterhalten. Allerdings wirkt sie so wenig überrascht,
    dass mir klar wird, dass sie Bescheid weiß. Sara hat es ihr längst gesagt.
    Herr Marcipane wendet sich mir zu. »Schwörren
    Sie, dasse Sie immer lieb sind zu meine Schnucke?«
    Ich weiß, dass Sara es hasst, wenn ihre Eltern sie
    Schnucke nennen.
    »Natürlich.«
    »Schwörren!«
    »Ich schwöre«, sage ich und hebe indianermäßig
    die Hand. Den letzten Schwur in dieser Form habe
    ich vor knapp zwanzig Jahren auf einem Kinder-
    spielplatz abgelegt und anschließend einen Regen-
    wurm gegessen. Würde ich jetzt übrigens auch tun.
    Herr Marcipane meint das mit der Schwörerei ganz
    ernst. Plötzlich geht alles blitzschnell.
    »Gut, dann könne Sie sie habbe. So. Nun: Ich heiße
    Antonio und ab heute biste du meine liebe Sohn.«
    Darauf springt er aus seinem Sessel und eilt wieder auf mich zu. Ich stehe auf, und Antonio Marcipane,
    der Mann, der mich vor nicht ganz zehn Minuten
    behandelt hat, als käme ich von der Gebührenein-
    zugszentrale, umschlingt mich mit seinem ganzen
    Körper, seine Hände drücken meinen Rücken, er
    klopft und juchzt dabei. Ich bin erleichtert. »Meine Sohn, ich habe eine Sohn! Wirste du sehen, du haste eine neue Vater. Dasse muss gefeierte werde. Ursula, habbe wir Spumante?«
    »Wir haben nie Sekt. Wir haben Kaffee, Mineral-
    wasser, Bier und Milch«, leiert sie. »Und ich kann
    Orangen pressen.«
    »Aber wir habbe der tolle Wein«, raunt Antonio im
    Verschwörerton.
    »Toni, der Wein ist tabu.«
    Der verbotene Wein gehört Schwiegersohn Num-
    mer eins. Saras ältere Schwester Lorella hat nämlich bereits geheiratet, einen Ingenieur, der nie da ist. Sie leben gerade in Asien und daher hat Jürgen seinen
    Weinkeller bei Antonio zur Aufbewahrung gegeben.
    Ausdrücklich zur Aufbewahrung. Nicht zum
    Trinken.
    »Was heißte hier tabu? De Jürgen hatter gesagt, das iste vino für besondere Tage, und trinkt er nicht ofte eine Flasche. Heute iste eine besondere Tag. Es wurde mir eine neue Sohn geboren.«
    »Ein neuer Sohn geboren«, äfft Ursula. »Aber nicht
    einen von den ganz teuren.«
    Antonio verschwindet in den Keller, wo man ihn
    mit allerhand Flaschen herumhantieren hört. Dabei
    singt er.
    »Siehst du. Es ist gut gelaufen, habe ich doch
    gesagt. Mein Vater ist wirklich lieb«, flüsterte mir Sara zu. Und Ursula gibt mir einen Kuss, sie weint
    sogar ein bisschen und sagt leise: »Herzlich willkommen.« Es klingt eher bedauernd als erfreut, als be-
    grüße sie mich als Mithäftling in einer feuchten
    Gefängniszelle im Polizeipräsidium der Hauptstadt
    eines Andenstaates. Ich drücke sie und freue mich,
    anschließend umarmt mich meine zukünftige Frau.
    Sie sagt nichts, aber ich spüre ihre Erleichterung.
    Immerhin hat es Männer in ihrem Leben gegeben,
    die dieses Haus nur einmal betreten haben. Und das
    lag ganz gewiss nicht an Sara.
    Dann kommt der Wein. Er ist tatsächlich sehr gut,
    was Antonio darauf zurückführt, dass er höchstper-
    sönlich diesen vino im Keller ausgesucht hat.
    »Warum willste du meine Tochter?«, fragt er nach
    dem zweiten Glas und sieht mich aus seinen Funkel-
    augen an.
    »Welche denn sonst?«, antworte ich. Etwas Besse-
    res
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