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Maria, ihm schmeckts nicht!

Maria, ihm schmeckts nicht!

Titel: Maria, ihm schmeckts nicht!
Autoren: Jan Weiler
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Die
    wissen zwar bereits von unseren Hochzeitsplänen,
    weil wir ihnen davon erzählt haben, als sie uns in
    der Woche zuvor besuchten, aber natürlich müssen
    sich die Eltern vor der Hochzeit kennen lernen. Ein zwangloses Mittagessen soll es geben. Mein Elternhaus ist für zwanglose Mittagessen zwar nicht welt-
    berühmt, doch meine Mutter ist eine großartige Kö-
    chin und der Weinkeller meines Vaters enthält
    Flaschen, die mit Jürgens Schätzen durchaus mithal-
    ten können.
    Bei diesem Gedanken wird mir kurzfristig enorm
    übel und ich öffne den mit einem cremefarbenen
    Flokati bezogenen Deckel des Klos. Der Geruch von
    pinkfarbenen Klosteinen desinfiziert mich aber in
    Sekundenschnelle – alles klar, ich werde mir nicht
    die Blöße geben und bereits am ersten Tag meiner
    Zugehörigkeit in dieser Familie das Klo meiner
    Schwiegereltern voll kotzen.
    Antonio ist bester Dinge. Er läuft in Hausschuhen
    herum und dekoriert den Frühstückstisch mit aller-
    hand Tand, den er aus einer Schublade der
    Schrankwand holt. Auf meinem Platz liegen zwei
    Zeitungen, die er eigenhändig heute Morgen für
    mich gekauft hat, wie er mir zur Begrüßung mitteilt.
    In seiner Vorstellung von mir gehören eine gewisse
    Verzierung des Frühstückstisches und das Lesen von
    mindestens zwei Zeitungen nach dem Aufstehen
    einfach zum Leben dazu.
    Das Frühstück ist übrigens ziemlich unitalienisch,
    will sagen reichhaltig. Schließlich wohnt Antonio bereits seit über dreißig Jahren in Deutschland und
    weiß ein Käsebrötchen am Morgen durchaus zu
    schätzen. Außerdem ist er mit einer Deutschen ver-
    heiratet. Es gibt nicht viele Bereiche im Leben der beiden, in der sie eindeutig die Regeln festlegt. Zumindest beim Frühstück scheint das absolut der Fall.
    Es gibt allerdings Espresso, da hat er sich durchgesetzt. Diese Verschränkung von Lebensgewohnheiten
    ist wie das Bild von Neapel und der Holzteller im
    Flur, nämlich der Versuch, Mentalitätsunterschiede
    durch gemeinschaftlich begangene Verbrechen am
    guten Geschmack zu überwinden. Ich glaube, so ist
    Europa.
    »Möchtet ihr ein bisschen spazieren gehen?«, fragt
    Sara. »Die frische Luft wird dir gut tun.«
    »Oh, wir gehen spazieren!«, ruft Antonio erfreut.
    »Ich zeige dir Schönheite hiere inne Ort und die
    Attraktionen von diese schöne Umgebung.«
    Also gehen wir spazieren, das heißt, wir stehen
    mehr spazieren, als dass wir gehen. Antonio muss
    immer mal wieder innehalten und etwas erzählen.
    Dafür bleibt er stets stehen, weil er mir dann besser in die Augen sehen kann. Wir unterhalten uns wie
    richtige Männer. Eigentlich unterhält sich Antonio.
    Ich werde unterhalten. Das macht mir aber nichts
    aus, ich kann auch mal schweigen, besonders heute.
    Die Hauptattraktionen der Nachbarschaft sind: der
    Garagenhof, die Garage, der dort geparkte Merce-
    des, Kinderspielplatz, Bäcker, Getränkemarkt und
    Lottoannahmestelle.
    Dorthin zieht es Antonio mit aller Macht, denn
    Lotto ist für ihn das Größte. Er spielt immer
    dieselben Zahlen, nämlich seinen sowie die
    Geburtstage seiner Kinder. Das führt zwangsläufig
    dazu, dass kein Zahlenwert höher ist als 11, denn
    seine Töchter haben nun einmal am 6. 7. und am 10.
    1. Geburtstag, er selbst am 2. IL, so dass er immer wieder aufs Neue 1,2,6,7, 10, 11 tippt.
    »Wann haste du Geburtstag?«, fragt er mich.
    »Am 28. Oktober«, antworte ich, und er kreuzt
    anstelle der 11 die 28 an.
    »Wenne ich ein Million gewinne, bekommst du die
    Hälfte«, versichert er mir, und es besteht überhaupt kein Zweifel, dass er das auch so meint. Es gilt das gesprochene Wort.
    »Binne i keine Geizhalse, liebe Jung. Wenni habe,
    gebe auch und machte mir nix aus.«
    Ich warte auf die üblichen Schwiegersohn-Gesprä-
    che, irgendwie habe ich mich sogar darauf gefreut. Es ist doch schön, wenn man ermahnt wird und die Fragen beantworten muss, die ein besorgter Vater sich
    stellt. Ob man die Tochter denn auch ernähren könne.
    Und ob man Kinder wolle, schließlich seien Kinder
    das Salz der Erde. Und was denn der eigene Vater
    beruflich mache. Und ob man Abitur habe. Und wie
    das alles weitergehe. Aber ich warte vergebens.
    Antonio, stelle ich fest, hat sich für mich entschieden, nicht ich mich für seine Tochter. Ich könnte auch
    Bratschist in einem usbekischen Kammerorchester
    sein oder Schiffschaukelbremser auf der Kirmes oder Außenminister von Österreich.
    Als habe er meine Gedanken erahnt, bleibt er
    plötzlich stehen und sagt
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