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Maria, ihm schmeckts nicht!

Maria, ihm schmeckts nicht!

Titel: Maria, ihm schmeckts nicht!
Autoren: Jan Weiler
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Übungen für die
    Kopfe.«
    Daraus wurde dann aber nichts, denn Pantoni
    schloss über Nacht seine Praxis und verschwand
    spurlos. Der Arzt, der mich zu ihm überwiesen hatte, erzählte mir, dass Pantoni gar kein Masseur gewesen sei, dass er eigentlich gar keine Erlaubnis zum
    Massieren und erst recht nicht für krankengym-
    nastische Therapien hatte, sondern sein Geld abends mit dem Kneten von Pizzateig in einer Düsseldorfer
    Pizzeria verdiente. Wenig später stand der Fall in der Zeitung und es wurden Geschädigte gesucht. Ich
    fühlte mich aber keineswegs von ihm geschädigt,
    höchstens durch den Umstand, dass er einfach
    abgehauen war. Also meldete ich mich nicht.
    Der dritte Italiener, mit dem ich es zu tun bekam, war genau genommen eine Halbitalienerin. Ich lernte sie eines Tages beim Bäcker kennen, als ich nicht
    genug Geld für Brötchen dabeihatte und sie mir mit
    zwei Mark aushalf. Ich kann nur jeden ermuntern,
    nicht genug Geld dabeizuhaben, für den Fall, dass
    man die Frau seines Lebens kennen lernen möchte.
    Allerdings muss man darauf achten, dass man nicht
    vor halb neun morgens in der Bäckerei kein Geld hat, denn da trifft man nur Handwerker oder über-spannte Senioren und das ist ja nicht unbedingt Sinn der Sache. Diese Italienerin, die mir mit zwei Mark aushalf, war Sara, und wenn ich vor dem Einkaufen
    zum Geldautomaten gegangen wäre, könnte ich jetzt
    nicht vor der Tür ihres Vaters stehen. Jedenfalls horte ich mich seinerzeit den schwachsinnigen, aber be-triebsimmanenten Satz sagen: »Sie können natürlich
    anstelle des Geldes auch die Brötchen zurückhaben.
    Vielleicht bei einem kleinen Frühstück, wenn Sie
    wollen.«
    Die meisten Frauen, die ich bisher getroffen hatte, hätten darauf geantwortet: »Och nö, betrachten Sie
    doch die zwei Mark als Geschenk.« Sara dagegen
    nicht. Sie sagte: »Na super. Keine Kohle, aber einen auf dicke Hose machen. Das muss jetzt aber ein sensationelles Frühstück werden.« Kaum zwei Jahre
    später stehen wir also vor dem Reihenendhaus ihrer
    Eltern. Der Klassiker mit roten Backsteinen. Neben
    der Haustür rechts das kleine Klofenster. Links das große von der Küche.
    Die Architektur eines Reihenhauses beruht auf
    der Stapelung einer Fünfzimmerwohnung. Während
    man jedoch vor einer Fünfzimmerwohnung stehend
    nie genau weiß, wie sie geschnitten sein wird, ist dies bei Reihenhäusern absolut sicher. Das Haus der Marcipanes unterscheidet sich in nichts von jenen etwa acht Millionen Reihenhäusern, die es sonst noch
    überall in Deutschland gibt. Gewöhnlich kommt bei
    diesem Menschenverwahrtypus hinter dem Eingang
    erst einmal die so genannte Schmutzschleuse. Dort
    kann man sich die Schuhe ausziehen, rechts geht’s
    ins Klo. Die Kloschüssel ist unter dem Fenster
    angebracht. Links vom Hauseingang die Küche, die
    immer eine zweite Tür zum Wohnzimmer hat. Im
    Flur geht rechts eine geschwungene Treppe nach
    oben und nach unten. Den Grad der Bürgerlichkeit
    der Bewohner vermag der geübte Reihenhaus-
    besucher an Geländern und Stufen abzulesen. Sind
    diese zum Beispiel von matter schmiedeeiserner
    Eleganz, so hat man es fast immer mit Volksmusik-
    freunden zu tun, während die ungehemmte Verwen-
    dung von astlochreichen Holzsorten unschwer auf
    Pädagogen schließen lässt. Auf der linken Seite des Flures immer: Telefontischchen und Garderobe.
    Geradeaus führt der Weg ins Wohnzimmer dessen
    Türen immer Fenster haben, weil sonst zu wenig
    Licht in den Flur fällt. Meistens sind diese Fenster aus geriffeltem Glas oder haben eine rustikale
    Butzenscheibenoptik, die zu den Schwanenhals-
    griffen an den Türen passt.
    »Hallo, klingeln«, sagt Sara und schubst mich
    erneut. Unter der Klingel ist ein braunes Schild angebracht, auf dem aus Salzteigwürsten geformt
    »Marcipane« steht. Die Buchstaben werden im Laufe
    des Wortes immer enger und kleiner, so dass der
    Name nur mit einiger Fantasie zu entziffern ist. Es sieht so aus, als klingele man bei Familie Marciq3?g.
    »Hier sind wir falsch, hier wohnen die Mar-
    ciq3?gs«, sage ich.
    »Das Ding habe ich in der Schule gemacht«, erwi-
    dert Sara und drückt auf die Klingel. Ding Dong.
    Fast in derselben Sekunde geht die Tür auf und
    Frau Marcipane steht vor mir. Sie sieht tatsächlich aus wie ihre Tochter, was mir auf Anhieb gefällt.
    Offenbar hat sie bereits seit einiger Zeit hinter der Tür gestanden, wollte aber nicht öffnen, damit wir
    nicht den Eindruck bekommen, sie könne es
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