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Mann Ohne Makel

Titel: Mann Ohne Makel
Autoren: Christian Ditfurth
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nicht viele in seinem Seminar, die so gut mitmachten.
    Er sah Alicia Weitbrechts schnippende Finger. Am Arm trug sie ein breites, silbrig glitzerndes Armband. Sie war auffällig geschminkt. Hat sie doch nicht nötig, dachte Stachelmann. Er begriff schnell, Alicia wollte Punkte sammeln. Sie wiederholte Stachelmanns Argumente und blickte ihn dabei fortwährend an. Er bedankte sich kurz für die Wortmeldung und blickte sich um, ob es weitere Beiträge gab. Er hatte keine erwartet. Ein Student in der ersten Reihe, sein Name war Stachelmann entfallen, blickte auf den Tisch vor ihm, andere schauten weg, wenn Stachelmanns Augen sie erfassten.
    »Gut«, sagte Stachelmann. Es war nicht gut. Aber was sollte er machen? Den Rest des Seminars sprach er über einige Fehler und einige Stärken in den anderen Hausarbeiten und bereitete seine Studenten auf die Themen der nächsten Sitzungen vor. Es würde nichts nutzen, er wusste es. Trotzdem wäre es unfair gewesen, den Seminarteilnehmern diese Möglichkeit nicht zu geben. Manchmal fürchtete Stachelmann, es sei gleichgültig, ob er überhaupt in seinem Seminar auftauchte. Es gab nur eine Studentin, die aufnahm, was er anbot. Aber vielleicht sollte er damit zufrieden sein. In anderen Seminaren sah es eher schlimmer aus. Schade, nun war Simone Wagner sauer auf ihn. Er hoffte, sie trüge es ihm nicht nach.
    Zurück in seinem Dienstzimmer hinter der grünen Stahltür, setzte er sich neben den Berg der Schande und schaute aus dem Fenster. Das Sommerwetter kam ihm unwirklich vor. Es hatte nichts mit seiner Stimmung zu tun. Musste er nicht froh sein? Gestern hätte er es noch für einen Wunschtraum gehalten, heute hatte Anne ihn zu sich nach Hause eingeladen. Er würde versagen, er wusste es.
    Es klopfte an der Tür. Auf sein Herein erschien Alicia Weitbrecht. »Entschuldigung, Herr Stachelmann«, sagte sie mit unruhiger Stimme.
    »Ja?«, fragte er. Seine Stimme klang barsch, obwohl er freundlich sein wollte.
    Sie zuckte ein wenig. »Ich habe eine Frage zu meiner Hausarbeit.«
    »Und warum kommen Sie nicht in meine Sprechstunde?«
    »Da kann ich nicht, bin verreist.«
    »Jetzt habe ich aber keine Zeit«, sagte Stachelmann freundlicher. »Können Sie morgen Nachmittag, so gegen 16 Uhr? Hier, in meinem Zimmer?«
    Sie lächelte. Sie war ein hübsches Kind. Eben ein Kind, dachte Stachelmann.

II
    Die Luft war heiß und verraucht. Im Halbdunkeln suchte Stachelmann nach Ossi. Er konnte ihn nirgendwo entdecken. Er war früh im Tokaja aufgetaucht. Er fand einen leeren Tisch in einer Ecke. Ein Spielautomat dödelte, Computerklänge. Er gewöhnte sich ans Dunkle. Er hatte die Tür im Auge. Er nahm die Speisekarte, das Übliche: überbackenes Gemüse, Nudeln, Pizza, billiger Wein. Eine Frau, in Schwarz gekleidet, stand neben ihm, er hatte sie nicht kommen sehen. Sie schaute ihn erwartungsvoll an und fragte:
    »Was darf es sein?« Sie hatte Rauch in der Stimme.
    »Ich weiß noch nicht«, antwortete er. Als sie ihre Brauen leicht hochzog, fügte er hastig hinzu: »Ich warte auf jemanden.« Er stotterte und verfluchte sich dafür.
    Die Schwarze schüttelte den Kopf und zog ab. Sie trug einen Pferdeschwanz, der bis zum Gürtel reichte.
    Der Spielautomat dödelte.
    Die Tür öffnete sich, ein Pärchen betrat die Kneipe. Stachelmann hatte den Blick fast schon abgewendet, da erschien hinter dem Pärchen Ossis Kopf. Das Gesicht war breiter geworden, aber er erkannte es sofort. Stachelmann stand halb auf und winkte. Er begriff nicht, Ossi konnte ihn nicht sehen, er kam aus dem Hellen. Stachelmann verfolgte, wie Ossi die Tische absuchte und sich seinem Tisch näherte. Stachelmann stand auf, da sah ihn Ossi und breitete die Arme aus.
    »Mensch, alter Junge«, sagte er. »Hast dich ja gar nicht verändert.«
    Stachelmann hasste solche Sprüche. Natürlich hatte er sich verändert. Nicht zum Guten, wie er fand. Er wich Ossis Umarmung aus, indem er seinen Arm weit vorstreckte zum Gruß.
    Ossis Händedruck war fest und ein bisschen wabbelig. Er war dick geworden. Ein roter Backenbart machte ihn alt.
    Ossi setzte sich Stachelmann gegenüber und schaute ihm ins Gesicht. »Noch ganz der Alte«, murmelte er. Er blickte an Stachelmann vorbei an die Wand und sagte:
    »Das waren Zeiten, was?«
    Stachelmann nickte.
    Die Schwarze erschien und fragte nach Bestellungen, sie klang grell. Sie bestellten zwei Pils.
    Ossi sagte: »Soso, da bist du jetzt also hier an der Uni. Historiker geworden. Das wolltest du ja immer
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