Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Mann Ohne Makel

Titel: Mann Ohne Makel
Autoren: Christian Ditfurth
Vom Netzwerk:
wurde er stinksauer und hat uns verdonnert, das auf keinen Fall an die Presse weiterzugeben. Seine Geschäftspartner und Kunden sind begeistert. Der Mann ist ehrlich, zuverlässig, fast so eine Art Jesus von der Elbchaussee.«
    Ossi berichtete von seinem letzten Besuch bei Holler in der Holztwiete. Es war am Morgen dieses Tags gewesen. Er hatte Holler angesehen, der Mann hatte geweint, nicht geschlafen. In seinen Augen stand Verzweiflung. Holler war groß gewachsen, hatte kurz geschnittene blonde Haare über einem Gesicht, das jünger aussah, als es seinem Alter entsprach. Nein, er hatte keine Ahnung, warum seine Tochter vergiftet worden war. Holler hatte Ossi versichert, er dürfe alles sehen, was er sehen wolle, für die Polizei werde es kein Bank- und kein Arztgeheimnis geben. Wenn sie es für richtig halte, dürfe sie das Haus und die Firma auf den Kopf stellen. »Tun Sie alles, was Sie für sinnvoll halten, um den Mörder zu finden«, sagte Holler mit brüchiger Stimme. Es war Ratlosigkeit, die Ossi dazu brachte, so offen zu berichten, das begriff Stachelmann sofort. Wieder spürte Stachelmann, wie die Frage in ihm bohrte, wer Holler war und warum dem Mann dieser Schrecken widerfuhr. Tief in ihm glaubte er eine Stimme zu hören, die an etwas erinnerte. An was, verdammt? Was hatte er mit Holler zu tun? Er kannte den Mann nicht, er war noch nie auch nur in der Nähe seines Hauses gewesen. Und was hatte er mit Maklern zu tun oder mit Wohltätigkeitsvereinen oder mit einem Wahnsinnigen, der Zyankali in ein Bonbon spritzte, es in einen Garten warf und hoffte, ein Kind würde es essen? Ob der Mörder zugeschaut hatte, wie das Mädchen das Bonbon lutschte? Hatte er sich gefreut, als sein Plan aufging? Musste er nicht damit rechnen, dass jemand anders das Bonbon fand und es wegschmiss oder selbst lutschte? War das Kind überhaupt das Ziel eines Verbrechens? Oder war alles Zufall? Lief da einer durch die Stadt mit einer Tüte Karamellbonbons in der Tasche, in die er Zyankali gespritzt hatte und die er irgendwo verteilte, damit irgendjemand starb? Würde es weitere Vergiftungen geben? Wie besorgte man sich Zyankali? Wer stellte Zyankali her? Was für einen Tod stirbt einer, der Zyankali schluckt? Fragen gingen ihm durch den Kopf. Nein, es war ein Bonbon und ein totes Kind. Und der Mörder hatte dieses Kind gemeint. Aber woher wusste er, dass das Kind das Bonbon essen würde? Wie herum man es auch drehte, man kam zu keinem Schluss.
    Ossi hatte bei der Schwarzen ein drittes Bier bestellt, dazu einen Schnaps. »Bin nicht im Dienst«, sagte er. »Bist du enttäuscht?«
    Stachelmann schaute ihn fragend an.
    »Na, weil es nicht so ist, wie es bei einem Veteranentreffen sein soll.«
    Stachelmann lachte. »Und wie soll es bei einem Veteranentreffen sein?«
    »Na ja, Schulterklopfen, Lachen, so laut, dass andere Gäste sauer werden, saufen, sich sagen, wie gut man sich gehalten hat, oder sich gegenseitig den Bauch tätscheln, wie das eben so sein muss. Also, ich bin geschieden und habe zwei Kinder.«
    »Ich habe diesen Namen im Kopf«, sagte Stachelmann.
    »Irgendwo habe ich den vergraben, ich weiß nicht, wo.«
    Er starrte in den Rauch.
    »Welchen Namen?«, fragte Ossi.
    »Holler.«
    »Den wollte ich gerade für ein, zwei Stunden vergessen«, sagte Ossi.
    Der Spielautomat dödelte.
    Ossi wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab. Er sah müde aus. »Warum interessiert dich das überhaupt? Weißt du, wie viele Morde es im Jahr in Hamburg gibt?«
    Stachelmann schüttelte den Kopf.
    »Im Jahr 2001 waren es, glaube ich, siebenunddreißig.«
    »Aber ein Kind?«, erwiderte Stachelmann.
    »Ein Kind, ein Kind.« Ossi klang zornig. »Ich kann es nicht mehr hören. Alle Welt quatscht von einem Kind. Kindesmord, wie furchtbar das ist. Ich will dir mal meine ganz unmaßgebliche Meinung sagen: Mord ist Mord, ob Oma oder Kind. Oder findest du, ein Menschenleben ist mehr wert als ein anderes, tausend Mark statt zweihundert? Vielleicht der Industrie, weil die einem Kind im Lauf seines Lebens mehr andrehen kann als einer Oma mit begrenzter Lebenserwartung und jenseits des Konsumwahns. So ein Quatsch!«
    »Alter Klassenkämpfer«, sagte Stachelmann. Es klang nicht lustig.
    »Idiot«, sagte Ossi. »Die drehen noch durch im Präsidium. Die Presse macht ein Riesenremmidemmi, Mottenpost und Bild vorneweg. Und dann ist der Holler eben so eine Art Heiland, bekannt mit Bürgermeister, Innensenator, dem Chef der Industrie- und Handelskammer, dem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher