Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Huren des Apothekers

Die Huren des Apothekers

Titel: Die Huren des Apothekers
Autoren: Tatjana Stöckler
Vom Netzwerk:
Kapitel 1 – Die Diebeshand
    Wie Skelettfinger kratzten tief hängende Äste über das Dach der Kutsche. Luzia duckte sich unwillkürlich, als ob sie hier im Inneren Schrammen fürchten müsste. Ein Schlagloch schüttelte das Gefährt so sehr durch, dass sie sich nur mit Mühe auf ihrem Platz halten konnte. Ärgerlich schob sie den Vorhang zur Seite und sah aus der Seitenluke, doch sie erkannte nur vorbeihuschende Baumstämme. Blätter fegten so dicht vorüber, dass sie die Stoffbahn wieder sinken ließ, damit ihr nicht die Äste ins Gesicht schlugen.
    »Auf diesem Weg kommen wir doch unmöglich nach Marburg«, murrte Magdalene.
    »Das nächste Mal gehe ich wieder zu Fuß.« Luzia keuchte unter der nächsten Erschütterung und klammerte sich an ihrer Sitzbank fest.
    »In deinem Zustand solltest du auf dich Acht geben.«
    Luzia schnaubte auf. »Jetzt sage mir noch einmal, dass eine Fahrt wie diese meiner Schwangerschaft weniger schadet als ein Fußmarsch!«
    Ein Zweig peitschte den Vorhang ins Innere des Einspänners, Luzia schob ihn wütend zurück an seinen Platz. Unter diesen Umständen traute sie sich nicht, noch einmal aus dem Fenster zu schauen, geschweige denn sich hinauszulehnen, um Jerg, den Kutscher zu maßregeln. Mach dir keine Sorgen , hatte Lukas gesagt, es gibt dort Männer, die dich behüten werden . Zu diesen gehörte Jerg sicherlich nicht. Sowohl sie als auch Magdalene hatten mehrfach versucht, den vierschrötigen Mann auf dem Kutschbock anzurufen, jedoch tat er so, als ob er sie nicht bemerkte. Dabei hörten sie deutlich jeden seiner Flüche, mit denen er das Pferd bedachte. Zumindest fand Luzia diesen Jerg noch erträglicher als Contz, ihren Kutscher vom Vortag, der es nicht fertigbrachte, sein dreckiges Lachen zu verstecken, das er bei jeder sich bietenden Gelegenheit hören ließ. Es wurde Zeit, dass Magdalene einen eigenen Pferdeknecht einstellte und sie nicht mehr angewiesen waren auf die unfreundlichen Bediensteten der Nachbarin.
    Das Knallen der Peitsche und ein lauter Ruf des Kutschers gingen einem besonders tiefen Schlagloch voraus. Ein Knacken ließ Luzia zusammenfahren, gleich darauf stand der Wagen in Schieflage und beide Passagiere saßen auf dem Boden.
    Magdalene rappelte sich hoch und steckte den Kopf aus dem Fenster. »Jerg! Was gibt es denn nun schon wieder?«
    Das ganze Gefährt schwankte bedenklich, als der massige Mann vom Kutschbock herunterstieg. »Keine Sorge, Jungfer«, brummte er. »Gleich geht’s weiter. Nur ein Riss in der Speiche.«
    Beruhigend klang das nicht. War etwa ein Rad gebrochen? Bei der Fahrweise dieses Mannes würde das Luzia nicht wundern. Sie schob sich an Magdalene vorbei und öffnete den Schlag, aber schon nach einem kurzen Stück berührte die Unterkante der Tür den Waldboden und Luzia musste sich herausschlängeln. Hinter ihr zeterte Magdalene: »Luzia, Liebes, so warte doch auf mich!«
    Zum Glück hatte es seit gestern nicht geregnet, sodass Luzia kaum in die weiche Erde einsank. Nur wenige Schritte weiter sah es ungemütlicher aus und das Schlagloch hinter ihnen füllten Matsch und eine noch immer Wellen schlagende Pfütze. Luzia streckte Magdalene hilfreich eine Hand entgegen und fing sie auf, als sie sich ungeschickt aus der Kabine fallen ließ.
    Am Rücken des Kutschers vorbei spähte Luzia auf das linke Hinterrad, das fast bis zur Hälfte im Schlick steckte. Nicht nur ein Riss durchzog die Speiche, sondern ein kompletter Bruch. Der Mann grinste mit einer Zahnlücke zwischen braunen Stummeln. »Dauert net lang, Frau.«
    »Möge der Herr deinen Worten Wahrheit verleihen«, murmelte Magdalene und streckte ihr Kreuz.
    Auch Luzia hatte das Bedürfnis, ihre Knochen zu bewegen. Die Waldluft roch frisch und sie sog tief den Atem ein. Mit geschürzten Röcken wand sie sich an der Kutsche und dem unruhig stampfenden Pferd vorbei und schaute sich um. Gehörte dieser Wald noch Lukas oder schon dem Landgrafen? So oft ihr Gemahl ihr auch die Grenzsteine gezeigt hatte, sie konnte sich nie merken, wie viel Land ihm tatsächlich gehörte, genauso wie sie bei seinen vier Häusern in der Stadt durcheinanderkam, wer welches bewohnte und welches renoviert wurde, ob es von der Seite seines Vaters kam oder zur Aussteuer der Mutter gehörte. Wahrscheinlich lag es daran, dass sie so viel mit dem Einrichten des Hauses im Wald zu tun hatte, dass der weitere Besitz ihres Gatten sie nicht kümmerte.
    Der Weg durch die Bäume lag vor ihnen wie ein Tunnel, aber die tief
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher