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Mann Ohne Makel

Titel: Mann Ohne Makel
Autoren: Christian Ditfurth
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drei Semester, Sie werden die geschwätzigen Rheinländer überleben, und dann zurück nach Hamburg. Sie sehen, ich habe an alles gedacht. Jetzt müssen Sie nur noch Ihre Habil schaffen. Aber das ist ja eine Kleinigkeit für Sie, nach dieser Promotion, ›Stern am Historikerhimmel‹, und wenn’s mal klemmt, ich habe immer für Sie Zeit.«
    Konnte man bessere Startbedingungen haben? Stachelmann hatte ein schlechtes Gewissen, als er an die Freundlichkeit dachte, mit der er in Hamburg begrüßt worden war. Bohming und die anderen waren immer noch freundlich. Und doch glaubte Stachelmann, Enttäuschung bei ihnen zu spüren. Die Enttäuschung würde wachsen. Warum fehlte ihm die Kraft, diese letzte Hürde zu überspringen? Nicht nur Bohming war enttäuscht von ihm, er selbst war es viel mehr.
    Er setzte sich auf eine Bank am Wasser und schaute den Enten zu. Einige schwammen heran und warteten auf die Brotkrümel, die sie in Stachelmanns Taschen vermuteten. Andere waren satt und dösten pärchenweise auf der Wiese. Er verfolgte Segelboote, die sich vom flauen Wind treiben ließen.
    Auch seine Eltern wären enttäuscht, wenn sein Vertrag nicht verlängert würde. Er musste Professor werden, um endlich Ruhe zu finden. Aber er fand nicht die Ruhe, Professor zu werden. Er hatte das Gefühl, er habe zu seinem Thema schon alles geschrieben. Hätte er doch sein Material sparsamer verwendet, die Doktorarbeit ausgedünnt, es hätte immer für eine ordentliche Note gereicht. Aber dann hätten die Fachzeitschriften seine Arbeit nicht einmal erwähnt, und er wäre nicht nach Hamburg gekommen. Allerdings, für eine Habil an einer kleinen Uni hätte es gereicht. Er hatte Angst vor dem Tag, an dem er sich eingestehen musste, er würde es nicht schaffen. Diese Angst raubte ihm oft den Schlaf.
    Die Enten setzten keine Hoffnung mehr in ihn. Sie schwammen und watschelten zur nächsten Bank, wo eine Oma mit ihrem Enkel Brotkrümel ins Wasser und auf die Wiese warf. Der Kleine stieß bei jedem Wurf einen spitzen Schrei aus. Es war Zeit, zu gehen.
    Um sechzehn Uhr klopfte es an seine Tür. Alicia, er hatte sie ganz vergessen und hoffte, sie würde es ihm nicht ansehen. Dann sagte er sich, es wäre gut, sie würde es sehen. Sie hatte sich hübsch gemacht, einen kurzen Rock angezogen. Sie ist ein schönes Kind, dachte Stachelmann. Er dachte es nicht zum ersten Mal. Aber er fühlte sich nicht angezogen von ihr. Er mühte sich, ihr dies zu zeigen. Er gab sich kalt und barsch. Aber bisher hatte es sie nicht beeindruckt, jedenfalls ließ sie sich nichts anmerken. Sie sagte leise: »Hallo!«, schaute ihm etwas zu lange in die Augen, setzte sich auf den Besucherstuhl vor Stachelmanns Schreibtisch und beugte sich ein wenig vor, die beiden oberen Knöpfe ihrer Bluse waren geöffnet.
    Ein schönes Kind, warum fiel ihm immer das Gleiche ein, wenn er sie sah?
    Es klopfte an der Tür, Anne steckte ihren Kopf durch die Spalte. Sie öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder, als sie Stachelmanns Besucherin sah. Stachelmann glaubte, ihr Lächeln sei einen Augenblick verschwunden. »Entschuldigung, ich störe«, sagte Anne und schloss die Tür.
    Stachelmann begriff nicht, was Alicia von ihm wollte. Ging es ihr darum herauszufinden, warum sie eine Drei erhalten hatte und Simone Wagner eine Zwei, obwohl sie ihre These nicht beweisen konnte? Stachelmann spürte keine Empörung bei Alicia. Sie beklagte sich nur ein wenig, erklärte, ihre Arbeit befinde sich in Übereinstimmung mit der Haltung fast aller seriösen Historiker. Stachelmann fragte sich, ob er ihr die Wahrheit sagen sollte. Dass er ihre Arbeit mit einer Drei benotet hatte, weil sie keinen Funken Eigenständigkeit zeigte. Aber da gab es noch etwas. Er fürchtete die Zudringlichkeit Alicias und wollte sie nicht ermuntern, indem er ihr eine Note gab, die sie für schmeichelhaft halten konnte.
    Früher, als Stachelmann studierte, gab es fast nur Einsen und Zweien. Die Professoren und Dozenten waren froh, wenn ein Student sich auf eine Leistungsprüfung einließ. Stachelmann hatte es genutzt, aber nicht dazu gebracht, diesem Vorbild zu folgen. Er benotete streng und mühte sich, gerecht zu sein. Er fragte sich, ob er Alicia jemals eine Eins geben könnte. Dann rief sie ihn wahrscheinlich zweimal die Woche zu Hause an, um ihm an den restlichen Tagen am Seminar nachzustellen. Er würde keinen Tag in der neuen Mensa im Philosophenturm sitzen können ohne die Furcht, dass sie sich zu ihm setzte.
    Er fand sich
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