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Mann Ohne Makel

Titel: Mann Ohne Makel
Autoren: Christian Ditfurth
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DGB-Boss und so weiter und so fort.«
    »Tanzt auf allen Partys.«
    »Auf keiner. Aber kennt jeden. Und fast sieht es so aus, als wäre der Polizeipräsident sein allerbester Freund. Es hörte sich jedenfalls so an, als er der Mordkommission den Marsch geblasen hat.«
    Stachelmann marterte sein Gedächtnis. Verdammt, wo hatte er diesen Namen schon einmal gehört oder gelesen? Er hatte ihn gelesen, er sah die Buchstaben vor sich. Sie waren mit einer Schreibmaschine geschrieben. Oder foppte ihn seine Erinnerung? Sein Gedächtnis war schlechter, als es einem Historiker zustand. Peinlich die Momente, in denen er als Fachautorität nach Jahreszahlen oder Namen gefragt wurde. Zu oft fielen sie ihm nicht ein.
    »Du bläst ja auch nur Trübsal«, sagte Ossi.
    »Nein, ich denke nach.«
    »Das ist bei dir anscheinend das Gleiche. Wenn man dich so anschaut.«
    Stachelmann ärgerte sich. Das hatte er schon oft gehört.
    »Mir geht dieser Name durch den Kopf …«
    »Holler?«
    »Irgendwo habe ich den gelesen.«
    Ossi schaute ihn mit wachen Augen an. »Und wo?«
    »Wenn ich das wüsste.«
    »Denk nach.«
    »Was glaubst du, was ich seit einer halben Stunde tue?«
    Nein, der Name würde ihm nicht einfallen. Heute nicht und womöglich nie. Wahrscheinlich war es nur ein Anklang, vielleicht ein ähnlicher Name in einem Buch oder einer Zeitschrift. Vielleicht war er Opfer eines Déjà vu? Gewiss, Holler war nicht Meier, Müller oder Schmidt, aber exotisch war der Name nicht. Etwas anderes fiel ihm auf. So hartnäckig war Ossi früher nicht gewesen, auch nicht so ernst. Er hatte immer für alles einen Spruch gehabt. Stachelmann hatte sich damals überlegt, welcher Witz Ossi beim Weltuntergang eingefallen wäre.
    Bestimmt sein bester. Alle stehen am Abgrund und kreischen, aber Ossi hat noch einen Witz auf Lager. Hei, hört mal zu, kennt ihr den? Beim Fall Holler waren Ossi die Witze ausgegangen. Oder früher schon. Kannte er seinen Freund noch, oder hatte er ihn damals verkannt? Er hatte ihn beneidet wegen der Leichtigkeit, mit der er Schwierigkeiten begegnete, die Stachelmann den Schlaf kosteten. Aber vielleicht hatte Ossi ja auch nicht geschlafen?
    Es war spät, als Ossi und Stachelmann bei der Schwarzen bezahlten. Stachelmann gab ihr ein gutes Trinkgeld, sie lächelte nicht, blickte ihn kaum an. Fast hätte er sich entschuldigt.
    Erst im Zug nach Lübeck merkte Stachelmann, wie müde er war. Auf dem Tisch im Großraumabteil der ersten Klasse lag die Bild-Zeitung. Stachelmann schaute sich die Bilder noch einmal an. Valentina Holler, sechs Jahre, vergiftet mit Blausäure. Zyankali tötet schnell, aber bis man tot ist, leidet man unter entsetzlichen Schmerzen. Das Foto vom Vater, dem Makler, schwarzweiß, unscharf. Er kannte den Mann nicht. Warum schwirrte ihm Hollers Name seit heute Morgen durch die Gedanken?

III
    Der alte Mann gestand es sich ein. Er hatte bisher Glück gehabt. Niemand hatte ihn beobachtet bei seinen Tötungen, es musste kein Unschuldiger sterben. Er konnte seine Opfer immer beim ersten Versuch erledigen. Es war leichter gewesen, als er geglaubt hatte. Der alte Mann lag auf dem Bett und betrachtete die Decke. Er erkannte Bilder. Frühstück, die Mutter bringt ihm Griesbrei. Der Vater steht auf, er muss zur Arbeit. »Häuser verkaufen«, nannte er es. Dann ging es zur Schule, sie hatten eine eigene für sich. Er liebte die Lehrerin, sie hieß Esther, sie unterrichtete alle Fächer. Am Abend, Papi war oft noch arbeiten, brachte Mami ihn ins Bett. Immer las sie ihm etwas vor, am liebsten Märchen. Er schloss die Augen. Wie dem Todesengel das Schwert entrissen wurde, daran erinnerte er sich gut.
    Eines Tages sprach Gott zum Todesengel: »Geh hin und führe die Seele des Josua ins Paradies.« Der Rabbi Josua war ein gerechter Mann, aber seine Zeit war gekommen. Weil er nie gesündigt hatte, sollte der Todesengel ihm einen letzten Wunsch erfüllen. »Zeige mir meinen Platz im Paradies«, sagte Josua. »Aber gib mir dein Schwert, damit ich es halte. Ich habe solche Angst davor.«
    Der Todesengel gab ihm das Schwert und hob den Rabbi auf die Mauer, die das Paradies schützte, damit Josua das Paradies überblicken konnte. Als Josua das Paradies in seiner Herrlichkeit sah, wollte er nicht mehr zurück zur Erde und sprang mit dem Schwert von der Mauer ins Paradies. Der Todesengel bat um sein Schwert, ohne das er seine Arbeit nicht verrichten konnte. Aber Josua gab es ihm nicht zurück. Weil Josua ein frommer Mann war, erlaubte
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