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Mann Ohne Makel

Titel: Mann Ohne Makel
Autoren: Christian Ditfurth
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werden.«
    »Ja«, sagte Stachelmann.
    »Und hältst Vorträge«, sagte Ossi.
    »Ja, manchmal.«
    »Und ich bin bei der Polizei gelandet. Mordkommission.«
    »Du wolltest doch Anwalt werden?«, fragte Stachelmann.
    »Ja, eigentlich schon. Aber dann kam die große Krise, kurz vorm zweiten Staatsexamen. Weibergeschichten, du weißt ja.« Ossi machte eine wegwerfende Handbewegung.
    Stachelmann wusste nichts, er nickte. Ossi hatte kurz vor der letzten Prüfung geschmissen, das war klar. Er ahnte, es lag weniger an Frauen, sondern an Ossis fehlender Ausdauer. Ossi hatte es immer hingekriegt, hohen Hindernissen auszuweichen. Einem Examen konnte man nicht ausweichen. Das erste hatte er immerhin geschafft. Kleine Hindernisse übersprang er mit Triumphgeheul. Aber müssen nicht auch Polizisten ausdauernd sein? Stachelmann erinnerte sich, Ossi wollte einmal der Anwalt der Bewegung werden. Dazu wechselte er von Heidelberg nach Marburg. In Heidelberg waren ihm die Juristen zu schwarz gewesen. Aber in Marburg musste er gescheitert sein. Vielleicht weil es ihre Bewegung nicht mehr gab? »Mordkommission?«, fragte Stachelmann, als hätte er Ossi nicht verstanden.
    »Ja. Seit elf Jahren bei der Polizei, seit knapp fünf hier bei der Mordkommission. Kriminalkommissar bin ich geworden, nicht Anwalt. Ist auch nicht schlecht.«
    Stachelmann dachte an Leichen und sagte: »Bestimmt nicht.«
    »Und wie hat es dich nach Hamburg verschlagen?«, fragte Ossi.
    »Die Promotion. Es gab an der Uni einen Prof, der sich für meine Doktorarbeit interessierte. Jedenfalls tat er so.«
    Das war die halbe Wahrheit. Bohming hatte sich für seine Buchenwaldarbeit eingesetzt und ihm sogar eingeredet, das Thema zur Habilitation auszubauen. Aber die Doktorarbeit war eine Qual gewesen, und trotz allen Lobs glaubte Stachelmann nicht, dass sie so gut war, wie manche behaupteten. Die Besprechungen in den Fachzeitschriften waren meist zurückhaltend ausgefallen, wie üblich. Und doch war in einer die Rede gewesen von einem möglichen neuen Stern am Himmel der Geschichtsschreibung. Das hatte Stachelmann nicht vergessen, auch wegen des Schwulstes dieser Formulierung. Sie hatten ihn in Heidelberg halten wollen, ihm aber keine richtige Stelle anbieten können. Deshalb zog er nach Hamburg. Und hier würden sie ihn irgendwann rausschmeißen, wenn er mit seiner Habilitation nicht vorankam. Er hatte einen Zeitvertrag, und der würde in gut zwei Jahren auslaufen. Ob der Sagenhafte einen Versager am Institut behalten würde? Bestimmt nicht. Seine Mitarbeiter mussten Erfolg haben, der strahlte auch auf ihn ab.
    »Dann hast du ja alles erreicht, was du wolltest, Jossi.«
    Ossi strahlte.
    Stachelmann wollte nicht in die Vergangenheit gezogen werden. Wie er diesen Spitznamen hasste! Er war albern und erinnerte ihn an Ereignisse, die er längst verdrängt hatte. Ossi und Jossi, sie hatten sich dereinst einen Namen gemacht an der Universität. Sie traten oft zusammen auf bei Veranstaltungen und waren fast immer der gleichen Meinung. Politisch waren sie wie Zwillinge gewesen. Stachelmann hatte es für Freundschaft gehalten. Aber als die Wunschträume verflogen, verschwand, was die Zwillinge verbunden hatte. Stachelmann betrachtete Ossi. Was er sah, gefiel ihm nicht. Ossi würde bald fett sein, wahrscheinlich soff er, jedenfalls deutete dies die rote Farbe seiner Nase an und auch die kleinen Kraterpickel, die darauf wuchsen. »Nein, ich habe noch lange nicht erreicht, was ich wollte. Noch können Sie mich rausschmeißen. Irgendwann muss ich Prof werden, sonst ist der Spaß vorbei.«
    Ossi lachte ihn an: »Das ist für dich doch ein Kinderspiel!«
    »Schön wär’s«, erwiderte Stachelmann. »Schön wär’s. Davor liegt ein Aktenberg und wartet darauf, abgetragen zu werden.«
    Ossi schaute ihn an, er lächelte nicht. Stachelmann wusste, Ossi begriff ihn nicht. Wie auch? In der Welt der Leichen türmte sich kein Berg der Schande, der einem den Schlaf raubte. Stachelmann hätte es als sinnlos empfunden, Ossi von seinen Ängsten zu berichten. Es hätte keinem von beiden genutzt. Aber er wollte nicht prahlen. Es war Zeit, das Thema zu wechseln. »Und welche Leiche beschäftigt dich gerade?«, fragte er bemüht humorvoll.
    »Ein Kindesmord«, sagte Ossi. Seine Stimme klang traurig und erschöpft. »Ich weiß nicht, ob wir ihn jemals aufklären werden.«
    »Warum?«
    »Wir finden kein Motiv, und Spuren haben wir auch nicht. Es ist offenbar kein Sexualmörder. Fast scheint es so, als
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