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Mann Ohne Makel

Titel: Mann Ohne Makel
Autoren: Christian Ditfurth
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schlechte Studienbedingungen, vor allem aber für die Revolution. Sie fanden, es gehörte alles zusammen. Er war froh, die Studenten heute sahen manches anders. Aber gleichzeitig spürte er einen Hauch von Verachtung, der in ihm deshalb aufkam. In Wahrheit war es ihm nicht gelungen, den Wahn, dem sie damals gefolgt waren, ganz aufzugeben. Er gab sich Mühe mit seinen Studenten, und sie belohnten ihn durch ihre Anwesenheit, weniger durch Eifer. Manche Studentin schaute ihn vielleicht nicht nur aus fachlichem Interesse an. Alicia war offenbar so ein Fall. Aber es bewegte ihn nicht. Er hatte keine Lust auf Anbetung und die ihr folgende Enttäuschung. Richtige Frauen hatten nichts für ihn übrig, falsche liefen ihm hinterher. So musste es wohl sein in seinem verpfuschten Historikerleben. Stachelmann hasste sich, wenn die Selbstzweifel ihn überwältigten.
    Er musste in sein Seminar. Er nahm die Aktentasche, sie war prall gefüllt mit den Hausarbeiten. Im Gang war einiger Betrieb. An den Backsteinwänden hingen Plakate, die Diäten anpriesen und Technodiscos. Der Seminarraum war voll wie immer. Das Gerede wurde leiser, als Stachelmann den Raum betrat. Einige blickten ihn erwartungsvoll an, als er sich vorne an sein Pult setzte, das in Wahrheit nur ein Tisch war, wie sie zu Hunderten in Seminarräumen standen. Er packte die Hausarbeiten auf den Tisch und schob den Stapel einem Studenten zu, der ihn erst gelangweilt betrachtete, dann seine Arbeit heraussuchte und den Stapel weiterschob. Der Stapel wurde immer kleiner, schließlich blieben drei Arbeiten über, deren Autoren fehlten. Stachelmann packte sie in seine Aktentasche und erklärte seinen Studenten, er sei mit den Arbeiten insgesamt zufrieden. Für den Seminar-schein würden sie auf jeden Fall reichen. Bliebe also am Ende des Semesters nur noch die Klausur als Stolperstein. Die Zuhörer nahmen Stachelmanns Wertung kommentarlos hin.
    Stachelmann lobte Simone Wagners Arbeit, die Quellenbasis sei breit, die Gliederung vorzüglich, die Urteilsfindung aber leider fragwürdig. Er schaute kurz in die Ecke, in der Simone Wagner saß. Unverständnis stand in ihren Augen geschrieben. Sie meldete sich, er nickte, um ihr das Wort zu geben.
    »Der Reichstagsbrand hat niemandem genutzt außer den Nazis«, sagte Simone Wagner. Sie klang empört.
    »Und es gab einen Geheimgang zwischen Görings Reichstagspräsidentenpalais und dem Maschinen- und Kesselhaus des Reichstags, durch den die Brandstifter unerkannt in den Reichstag eindringen und nach der Brandlegung fliehen konnten. Die Polizei hat später absichtlich Spuren nicht verfolgt, die in Richtung Goring liefen. Und der Dienstherr der Polizei war Göring selbst. Und dann, wenn man bedenkt, wie schnell Hitler, Göring und andere führende Nazis am Tatort waren und wie schnell sie die Reichstagsbrandverordnung …« Sie hatte sich in Wut geredet und blickte Stachelmann zornig an.
    »Überlegen Sie mal, am 27. brennt der Reichstag, am 28. ist die Reichstagsbrandverordnung fertig und in Kraft. Das ist entweder Zauberei oder Beweis dafür, dass die Verordnung schon geschrieben war, bevor es brannte.«
    Stachelmann lachte innerlich. Er mochte es, wenn Studenten ihre Meinungen mit Vehemenz vertraten. Das gab es viel zu selten. Er ließ Simones Wortschwall über sich ergehen. Als sie fertig war, sagte er: »Ich habe Ihnen die Zwei nicht gegeben, weil Sie behaupten, die Nazis hätten den Reichstag angezündet. Sie haben keine Eins gekriegt, weil sie diese Behauptung nicht beweisen können. Da hat Ihre sympathische Meinung die Tastatur benutzt, nicht die Logik. Es gibt keinen Zeugen und keine sonstige Quelle, die Ihre These beweisen könnten. So einfach ist das.« Er stutzte kurz, den letzten Satz hätte er nicht sagen dürfen. Er mühte sich, den Fehler wieder gut zu machen:
    »Sie haben eine ausgezeichnete Arbeit geschrieben«, sagte er mit sanfter Stimme. »Wenn Sie behauptet hätten: Alle Indizien sprechen dafür, dass die Nazis den Reichstag selbst angesteckt haben, dann hätte ich Ihnen eine Eins plus gegeben, wenn es das Plus gäbe. Auch wenn ich sogar diese These für einseitig gehalten hätte. Aber man darf nicht etwas als bewiesen hinstellen, was man nicht beweisen kann. Das ist der Unterschied zwischen Wissenschaft und Politik.« Er schalt sich, er hätte nicht grundsätzlich werden dürfen. Er schaute Simone Wagner an, ihr Zorn war nicht verschwunden. Sie verweigerte sich nun der Diskussion. Stachelmann war traurig, es saßen
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