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Ritter-Geist

Titel: Ritter-Geist
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Geistersuche
    Aus einem völlig unerfindlichen Grund durfte sich Ivy nur auf Schloß Roogna aufhalten, und das war natürlich schrecklich lan g weilig. Vor gar nicht allzu langer Zeit war ihre Mutter Irene reic h lich dick geworden, aß aber unbekümmert immer weiter, tat so, als sei das eine wunderbare Sache und hatte für Ivy anscheinend überhaupt keine Zeit mehr. Und was die Geschichte noch schli m mer machte: ihr Vater, König Dor, hatte ein kleines Brüderchen für sie bestellt. Ivy brauchte kein Brüderchen und wollte auch keins. Wie konnten die bloß so gedankenlos sein, etwas Derartiges zu bestellen, ausgerechnet ohne diejenige zu befragen, die es doch am meisten anging? Wozu sollte so ein Baby schon gut sein – erst recht ein Junge?
    Doch nun war das vermaledeite Ding endlich angekommen, und Irene hatte sein Eintreffen anscheinend mit einem Verdünnung s zauber gefeiert, denn plötzlich hatte sie ihr normales Körperg e wicht wieder, schien aber nach wie vor kaum Zeit für Ivy zu h a ben. Diese blöden, dämlichen Klapperstörche! Ivy gelangte zu dem Schluß, daß es nicht einmal in dem farblosen, langweiligen Mu n dania schlimmer sein konnte.
    Eine Weile lang spielte sie mit den Sachen, die ihr ihre Brie f freundin Rapunzel, die ganz langes Haar hatte und ähnlich wie sie in ihrem Schloß gefangengehalten wurde, geschickt hatte. Da Ivy noch zu jung war, um lesen und schreiben zu können, tauschten sie kleinere Gegenstände aus, und meistens war das schon ganz in Ordnung. Doch gab es auch Grenzen, was man mit Bleifischen und Kalaumauern anfangen konnte. So wurde Ivy diese ziemlich schnell leid.
    Manchmal ertappte sie sich dabei, wie sie stundenlang – und stundenkurz – den magischen Wandteppich in ihrem Zimmer beobachtete: das idiotische Stoffding war ihr zu einer Art alle r letztem Ausweg in Sachen Zeitvertreib geworden. Seine bewegl i chen Bilder zeigten alles, was jemals im Lande Xanth passiert war. Aber die Bilder waren ziemlich verschwommen, und Ivy intere s sierte sich sowieso nicht besonders für Geschichte. Wieviel mehr Spaß machte es da doch, im Dschungel mit Wolken und Gewir r bäumen und Hypnokürbissen zu spielen!
    Als der Teppich gerade eine Geschichtssequenz von mehreren Jahrhunderten abspielte, bemerkte Ivy plötzlich, daß sie nicht mehr allein war. Eines der Schloßgespenster befand sich im Raum. Tatsächlich sah es dem Teppich zu.
    Natürlich belästigten die Gespenster Ivy nicht; eher schien es umgekehrt zu sein. Gespenster gingen ihr immer aus dem Weg, weil ihr auf halbem Schritt stets Ärger zu folgen pflegte, und die Spukwesen auf Schloß Roogna liebten, wie andere Exemplare ihrer Art auch, ihre wohlverdiente Ruhe. Deshalb war Ivy nun auch etwas überrascht, wenngleich sie dabei keinerlei Angst hatte. Sie blickte das Gespenst an, doch dessen Umrisse waren unscharf, und sie konnte nicht erkennen, um wen es sich handelte. Deshalb fragte sie: »Wer bist du?«
    »Jordan«, erwiderte der Geist schwach. Es fiel den Gespenstern schwer, mit nennenswerter Lautstärke zu sprechen, weil ihr ganzer Klangkörper hauptsächlich aus Dampf bestand, aber wenn sie sich darauf konzentrierten, gelang es ihnen doch.
    Ach ja. Jordan war doch das Gespenst, das damals der Mähre Imbri dabei geholfen hatte, Schloß Roogna vor dem Reitersmann zu retten, vor irrsinnig langer Zeit, bevor Ivy selbst auf der Bildfl ä che erschienen war. »Was machst du da?«
    »Ich schaue mir meine Geschichte an.« Je mehr sie sich auf das Gespenst konzentrierte, desto schärfer wurde es und verwandelte sich aus einer amorphen Wolke in eine bucklig-flache Gestalt, was eine merkliche Verbesserung darstellte.
    Ivy verspürte ein leichtes Aufflackern ihres Interesses. »Deine Geschichte? Das ist die Geschichte Xanths, du Dummkopf!«
    »Ich habe vor vierhundert Jahren in Xanth gelebt«, erwiderte Jordan und wurde zu einer verschwommenen menschlichen G e stalt.
    »War das damals schon genauso langweilig wie heute?«
    »Nein, aufregend war es!« sagte das Gespenst mit etwas größerer Lebhaftigkeit. »Es war ein unglaublich fesselndes Abenteuer… glaube ich.«
    »Glaubst du?« Ivy war entschlossen, der Sache auf den Grund zu gehen, denn wenn es auf Schloß Roogna irgend etwas von Intere s se gehen sollte, wollte sie es endlich aufspüren.
    »Na ja, ich bin daran gestorben.«
    »Oh, ich sterbe gleich vor Langweile«, behauptete Ivy.
    »O nein!« protestierte Jordan. »Du bist eine Zauberin. Du wirst aufwachsen und einmal König
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