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Treibgut der Strudelsee

Treibgut der Strudelsee

Titel: Treibgut der Strudelsee
Autoren: Horst Hoffmann
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Horst Hoffmann
    Treibgut der Strudelsee
    Oblak versuchte für ein, zwei Herzschläge, durch wildes Rudern mit den Armen sein Gleichgewicht wiederzufinden, aber die Bohlen der Ruderbänke waren nass, und da war keiner unter den Ruderern, der ihm eine Hand hätte reichen können. Im Gegenteil: Das letzte, was Oblak von den Männern sah, war der unbarmherzige Ausdruck auf ihren wettergegerbten Gesichtern.
    Die Peitsche noch in der Rechten, verlor er endgültig den Halt. Es bedurfte keines Stoßes mehr, um ihn mit einem gellenden, langgezogenen Schrei in die Tiefe stürzen zu lassen. Die Gischt spritzte nach ihm. Die Schaumkronen der aufgewühlten Wasser schienen weiße, perlende Finger auszubilden, um ihn zu greifen und erbarmungslos zu sich herabzuziehen.
    Schreiend und wild um sich schlagend, klatschte Oblak in die übermannshohen Wellen, die über ihm zusammenschlugen. Der dicke Pelz seiner Kleidung sog sich voll und wurde zu einem tödlichen Gewicht, das ihn unbarmherzig in die Tiefe zog.
    Oblak kämpfte um sein Leben. Noch hatte er Kraft in den Armen und Beinen. Noch war Luft in seinen Lungen. Er kam prustend an die Oberfläche. Für Augenblicke war sein Kopf über Wasser. Oblak sah Jejed und ein paar seiner Männer zwischen den Ruderern erscheinen. Seile wurden zu ihm herabgeworfen, doch bevor er eines greifen konnte, rollte eine weitere Welle über ihn hinweg, und viel zu schnell zog die Gasihara an ihm vorbei.
    Wieder stieß sein Kopf aus dem Wasser. Oblak kämpfte, doch seine Bewegungen waren zu hastig. Die Angst griff mit eisigen Klauen nach seinem Verstand. Über ihm waren die langen Ruder, doch keines lag tief genug, um sie zu erreichen.
    Erneut tauchte Jejed auf und brüllte etwas, das vom Toben der Wasser geschluckt wurde. Wieder flogen starke Seile herab und wurden von der Strömung fortgerissen. Oblak schrie, bis er Wasser schluckte. Die Schaumkronen überspülten ihn. Die Stiefel und das Wams zogen an ihm. Er schluckte das Wasser in seinem Mund hinunter und hielt die Luft an, bis ihm die Lungen wie Feuer brannten. Oblak spürte, wie seine Kräfte erlahmten. Einmal noch schob sich sein Arm aus den Fluten. Dann riss ihn ein Strudel, der sich urplötzlich um ihn herum bildete, endgültig in die Tiefe.
    Oblaks Augen waren weit offen. Glitzernde Blasen perlten an ihm empor, dem Licht der Sonne entgegen, von dem es ihn weiter und weiter fortzog. Immer dunkler wurde es um ihn herum, und er klammerte sich an eine letzte Hoffnung. Wenn er den Kiel der Fähre erreichen konnte…
    Er machte einige verzweifelte Schwimmzüge in die Richtung, in der er jetzt den dunklen Schatten des Schiffsrumpfs sah. Der Strudel ließ ihn nicht los. Oblak verausgabte sich. Der Schmerz in den Lungen wurde unerträglich.
    Schwärze breitete sich um ihn herum aus. Seine Lungen mussten platzen! In Panik riss der Seefahrer den Mund weit auf.
    Keine Strömung brachte ihn wieder nach oben. Es zog ihn weiter und weiter hinab. Alles Leben war aus Oblaks Körper gewichen, als der Strudel ihn losließ. Doch seine Augen waren offen, und sie sahen.
    Was zunächst nur ein schwaches rotes Glühen gewesen war, wurde heller und zersplitterte in Tausende heller Lichtfunken, die den Leblosen umtanzten und dann in ihn eindrangen.
    Vielleicht war es ein Unfall gewesen, wie er auf jedem Meer der Lichtwelt vorkam, wenn ein Seemann, noch dazu vom Wein oder anderen Mitteln berauscht, sich zu nahe an den schäumenden Abgrund unter der Reling wagte. Ein heftiges Schaukeln, ein plötzlicher Wasserschwall reichte aus, um Leichtsinnige über Bord zu spülen. Und auf den Ruderbänken der Lichtfähren gab es keine schützenden Begrenzungen, nichts, an dem ein Mann sich hätte festklammern können. Sie waren zu beiden Seiten der mächtigen, bauchigen Schiffe außerhalb des stark nach außen gewölbten Schiffskörpers angebracht. Nur wer nicht bei klarem Verstand war, wagte sich so weit vor, wie Oblak es getan hatte.
    Und er war rasend gewesen, wie immer, wenn er zu viel vom Tabak der Mondblume gekaut hatte und die Männer hinter den langen Ruderstangen zu noch größerer Anstrengung antreiben wollte – mit Peitsche und Fäusten. Eine einzige unkontrollierte Bewegung auf den glitschigen Bohlen genügte oft schon, um ein Menschenschicksal zu besiegeln.
    Aber auch ein schneller Tritt oder das Vorschnellen einer Faust.
    Niemand an Bord der Gasihara sollte je erfahren, was sich wirklich zugetragen hatte. Jene, die es als einzige wissen mussten, pressten die Lippen
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