Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Man lebt nur zweimal

Man lebt nur zweimal

Titel: Man lebt nur zweimal
Autoren: Heiner Lauterbach
Vom Netzwerk:
Mundwinkel Richtung Ohrläppchen wandern. Konnte das sein? Er lächelte. Der wollte gar keinen Streit. Er musste etwas völlig Harmloses gesagt haben. Ich hatte mir nur seine Lautstärke nicht anders als mit einer handfesten Verärgerung erklären können.
    Ich lächelte zurück, zuckte mit den Schultern: »I do not understand you«, entschuldigte ich mich und trainierte weiter. Nette Leute, diese Israelis, dachte ich. Sehr kontaktfreudig.
    Von da an grüßten wir uns immer. Das Tier und ich. Irgendwie war er mir ja gleich sympathisch gewesen.
    HYSTERISCHE HYGIENE
    Spätestens nach meinem Israelaufenthalt wusste ich also, woher die Vorliebe meiner Familie für Unterhaltungen im angehobenen Dezibel-Bereich stammt. In Deutschland hat man ein viel größeres Ruhebedürfnis und hält auch einen gewissen Sicherheitsabstand zu seinen Mitmenschen. Ich spreche da gerne von der Spuckzone. Ich mag es gar nicht, wenn Gesprächspartner den Spuckabstand überwinden und die Spuckzone betreten. Journalisten machen das ganz gerne. Allerdings liegt das oft am Lärm der Umgebung. Wenn man beispielsweise auf dem Münchner Filmball interviewt wird, rücken sie einem immer mehr auf die Pelle und halten einem das Mikrofon unmittelbar unter die Nase, weil einfach so ein affenartiger Krach herrscht. Das ist dann stets das gleiche Spiel. Der Journalist kommt näher, ich weiche zurück. Er kommt wieder näher, ich weiche wieder zurück. So habe ich schon Interviews geführt, die am Haupteingang angefangen haben und vor der Damentoilette endeten, welche auf der diagonal gegenüberliegenden Ecke des Saals lag.
    Ich muss gestehen, ich bin in solchen Dingen sowieso sehr empfindlich. Böse Zungen würden behaupten: hysterisch. Auf einer Theatertournee saß ich mal mit meinen Kollegen in einem Autobahnrestaurant im hessischen Raum. Der Kellner kam mit meinem Essen an den Tisch. Er stand genau vor einem Fenster, durch welches die Sonne schien:
    »Sachese ma’ Herr Laudebach, häddese was dagesche, sisch gleisch in unse’m Gästebuch einzutrare?«
    Ich sah ihn im grellen Gegenlicht und musste beobachten, wie sich beim Sprechen der Hauch seines Atems in Form von einer Art Wasserdampf vor seinem Mund bildete und sich langsam auf meinem Essen niederließ. Gepaart mit größeren Stücken von Spucke und was er sonst noch so im Mund hatte. Ich musste an die unzähligen Male denken, bei denen man mir in ähnlicher Weise das Essen serviert hatte und mir wurde ein wenig schlecht. Vermutlich deswegen brachte ich nur ein einsilbiges »klar« heraus und streckte meine Hand aus, um mein kontaminiertes Mahl entgegenzunehmen, bevor er nochmals den Mund öffnen konnte und sich ein erneuter Sprühregen auf meinem Essen niederlassen würde.
    »Wie jetz’? Da hamse also was dagesche?«
    Ein neuerlicher Schwall senkte sich auf meinen Hackbraten. Während ich mein Essen nicht aus den Augen ließ, stammelte ich:
    »Wie?«
    »Dann wollese also net?«
    Mein Arm wurde immer länger und ich versuchte etwas flehendes in meinen Blick zu legen, aber der gute Mann schien mir den Teller nicht geben zu wollen, bevor diese Frage geklärt war. Ich musste mich jetzt auf das Gespräch konzentrieren, um Schlimmeres zu verhindern.
    »Ich gebe Ihnen gleich gerne ein Autogramm in Ihr Gästebuch«, fasste ich seine Bitte nun, den Blick immer noch nicht vom Essen nehmend, unmissverständlich zusammen.
    »Das is abä nett, Herr Laudebach. Wissen Se, vore ba Dach, da wa dä, na wie hiess e widdä, dä …«
    Ich hielt es nicht mehr aus. Ich stand auf und riss ihm meinen Hackbraten aus der Hand.
    »Bringen sie mir gleich einfach das Buch«, sagte ich und lächelte, so gut es die Situation zuließ.
    »Klar doch, das mache mä.« Der Vesuv auf zwei Beinen verzog sich. Ich setzte mich an den Tisch und starrte auf meinen Teller.
    »Mmh, das sieht aber lecker aus. Ich hätte mir vielleicht doch was bestellen sollen«, hörte ich meinen Kollegen neben mir sagen. Ich sah ihn an. Er glotzte gierig auf mein Essen. Ich sah zu meinem Essen. Dann wieder zu ihm. Er hatte noch nie zu meinen absoluten Lieblingskollegen gehört. Klar, er war nett. Er war ein guter Schauspieler. Aber darum ging es hier nicht. Ich fragte mich: Was meinst du, Heiner, gehört er zu den zehn nettesten Kollegen, die du kennst? Nein, beschloss ich und schob ihm den Hackbraten hin:
    »Hier, kannste haben.«
    »Quatsch, hab ich doch nur so gesagt.«
    »Ne ehrlich, kannste haben. Ich hab nich gewusst, dass da Kartoffelbrei dabei
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher