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Man lebt nur zweimal

Man lebt nur zweimal

Titel: Man lebt nur zweimal
Autoren: Heiner Lauterbach
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Spaß an unserem kleinen Ritual.
    So läuft das also an den normalen Sonntagmorgen. Das heißt, das ist so nicht ganz richtig. Mit normal meinte ich vielleicht ersehnt, erhofft, gewünscht. An den ersehnten – also ehrlich gesagt den unnormalen Sonntagmorgen – läuft es so wie gerade beschrieben ab.
    An den normalen hingegen so.
    Ich liege im Bett. Bis hierhin stimmt noch alles. Mein eben noch schöner Traum verwandelt sich in einen Albtraum. Ich höre kreischende Hyänen, während mir ein gefährlicher Drache heiße Luft entgegenspeit. Bevor ich vollends verglühe, wache ich auf. Und erschrecke zusätzlich. Millimeter über meinem Gesicht erkenne ich meinen Sohn Vito, der mich anpustet.
    »Was machst du da?«, will ich schlaftrunken wissen.
    »Ich puste.«
    »Wieso?«
    »Nur so.«
    Aus Angst, das Niveau dieser Konversation an einem so frühen Sonntagmorgen nicht halten zu können, drehe ich mich aus seiner Pustrichtung auf die andere Seite. Das interpretiert mein fünfjähriger Sohn sofort als Schwäche und stürzt sich, einem jungen Rüden gleich, mit Geheul auf die wehrlose Beute. »Es ist dein Sohn und du liebst ihn«, meditiere ich, der mit Yoga eigentlich nichts am Hut hat, vor mich hin.
    Das Hyänengeschrei habe ich mittlerweile als meine Frau und Tochter ausgemacht, die im Kinderzimmer ohrenscheinlich ihre morgendliche Debatte führen. Es dürfte mal wieder um die Garderobe meiner Tochter gehen. Ich habe mich oft gefragt, wie es kommt, dass sie sich in dieser Frage bis heute nicht ein einziges Mal einig waren. Ich meine, schon rein mathematisch gesehen, müsste der Zufallsfaktor doch eigentlich dafür sorgen, dass sie, sagen wir, jedes 20ste mal identische Kombinationen auswählen, sich also beide für dieselben Sachen entscheiden, die meine Tochter dann am jeweiligen Tag anzuziehen hätte.
    Wobei die Lautstärke meiner Liebsten nichts mit der Heftigkeit der Auseinandersetzung zu tun haben muss. Ich habe manchmal im zweiten Stock unseres Hauses im Büro gesessen und aus der Küche, die im Parterre liegt, ein mordsmäßiges Geschrei gehört. Nicht selten bin ich dann runtergelaufen, um das Schlimmste zu verhindern. Unten angekommen musste ich feststellen, dass sie ein ganz normales Gespräch führten. Oft lagen sie sich sogar liebevoll in den Armen und schäkerten, während ich angenommen hatte, dass sie sich gleich an die Gurgel gehen.
    Meine Frau ist Libanesin. Also habe ich drei Araber im Haus, und die sind nun mal so laut. Die stehen zehn Zentimeter vor mir und brüllen mir ins Gesicht, wenn sie wissen wollen, wie spät es ist. So verwandeln meine drei Araber unser Bauernhaus am Starnberger See ab und an in einen orientalischen Bazar und machen aus St. Heinrich Bagdad.
    Doch zurück zu meinem Sohn Vito, den ich inzwischen am Rumpf mit ausgestreckten Armen von mir halte, sodass mich seine wild zappelnden Arme und Beine nicht treffen können.
    »Komm, wir schmusen noch’n bisschen, Tiger«, sag ich und weiß gleichzeitig, dass ich Blech rede. Mein Sohn kann nicht schmusen. Oder sagen wir so – er schmust anders. Ich bezeichne das gerne als Kampfschmusen oder Vollkontaktschmusen. Wenn man ihn denn überhaupt mal zum Schmusen überreden kann, brüllt er einem ins Ohr: »O.k., schmusen wir« und drückt sich so fest an einen, dass jeder Nanometer Haut in Kontakt steht. Das Ganze dauert dann 2,8 Sekunden und es hat sich ausgeschmust.
    Also – an einem nicht, aber eigentlich doch normalen Sonntag stehe ich dann auf, wir machen alle zusammen Frühstück und lassen es uns schmecken. Die Kinder schreien und toben. Streiten sich im Zwei-Minuten-Takt. Dann fängt Viktoria auch an zu schreien, weil ich sie sonst nicht verstehe. Und weil es bei uns zu Hause nach einer einfachen Regel geht. Wer am lautesten schreit hat recht. Vito klettert mir mittlerweile auf der Schulter rum und stößt mir seine Knie ins Kreuz. Maya benutzt mein Bein, das ich vor Erschöpfung hoch auf den Nachbarstuhl gelegt habe, als Reckstange. Die Eier sind ein bisschen zu weich, der Tee ein bisschen zu kalt. Irgendwie ist es schön. Ich fühl mich wohl. Trotzdem bin ich nach einer Stunde so gerädert, als hätte ich gerade einen Marathonlauf hinter mir. Ich befreie mich von den Kindern. Viktoria kennt das schon: »Ich bin fix und fertig, Schnuffi«, sage ich noch und bin im Schlafzimmer verschwunden. Die Atmung wird langsamer, der Puls beruhigt sich. Den Leuten dankend, die Türen und Mauern erfunden haben, schließe ich mich ein und lege
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