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Maigrets Nacht an der Kreuzung

Maigrets Nacht an der Kreuzung

Titel: Maigrets Nacht an der Kreuzung
Autoren: Georges Simenon
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sich der Raum. Man sah Else, die sich in einem Sessel halb ausgestreckt hatte und den beiden Männern gleichgültig entgegenblickte.
    »Du hast dem Kommissar keinen Tee angeboten, Carl!«
    »Danke. Ich trinke nie Tee.«
    »Aber ich hätte gern einen! Möchten Sie einen Whisky? Oder … Carl, bitte!«
    Und Carl setzte verwirrt und nervös die Lampe ab, brachte einen kleinen Kocher in Gang, auf dem eine si l berne Teekanne stand.
    »Was darf ich Ihnen anbieten, Kommissar?«
    Maigret vermochte nicht festzustellen, woher sein Unbehagen kam. Etwas Inniges und zugleich Liederliches lag in der Luft. Auf der Staffelei waren große Blumen mit violettgefärbten Blütenblättern abgebildet.
    »Kurz«, begann er, »jemand hat zuerst Monsieur Michonnets Wagen gestohlen. In diesem Wagen ist Gol d berg umgebracht worden, und dann wurde das Auto in Ihre Garage gestellt, während Ihres in die Garage des Versicherungsvertreters gebracht wurde.«
    »Das ist unglaublich, nicht wahr?« sagte Else mit san f ter, singender Stimme, während sie sich eine neue Zig a rette ansteckte. »Mein Bruder behauptete, man würde uns beschuldigen, weil der Tote bei uns gefunden wo r den ist. Er wollte fliehen, ich nicht. Ich war sicher, man würde verstehen, daß wir, hätten wir tatsächlich jemanden get ö tet, keinerlei Interesse daran gehabt hätten, den …«
    Sie unterbrach sich, sah sich nach Carl um, der in einer Ecke herumstöberte.
    »Nun, bietest du dem Kommissar nichts an?«
    »Pardon … Ich … Ich stelle gerade fest, daß wir keinen …«
    »Es ist doch immer dasselbe mit dir! Du denkst an nichts! Bitte entschuldigen Sie, Monsieur …?«
    »Maigret.«
    »… Monsieur Maigret. Wir trinken sehr selten Alkohol, und daher …«
    Man hörte Schritte im Park. Maigret erkannte undeutlich die Gestalt von Inspektor Lucas, der ihn zu s u chen schien.
    3
    Die Nacht an der Kreuzung
    W
    as ist, Lucas?«
    Maigret war vor die Glastür getreten. Die wirre Atmosphäre des Salons lag hinter ihm, und vor sich, in der frischen Nachtluft, sah er Lucas’ Gesicht schi m mern.
    »Nichts, Kommissar, ich habe Sie gesucht.«
    Und Lucas, der ein klein wenig verlegen war, versuc h te, über die Schultern des Kommissars hinweg einen Blick in das Haus zu werfen.
    »Hast du mir ein Zimmer bestellt?«
    »Ja. Und es ist ein Telegramm für Sie eingetroffen. Madame Goldberg kommt noch heute abend mit dem Auto her.«
    Maigret drehte sich um, sah Andersen, der mit gesenktem Kopf wartete, und Else, die rauchte und ung e duldig mit einem Fuß wippte.
    »Ich werde Sie morgen sicher noch einiges fragen müssen«, teilte er ihnen mit. »Meine Verehrung, Mademoiselle.«
    Sie verabschiedete ihn mit einer gnädigen Geste. Carl bestand darauf, die beiden Kriminalbeamten zum Tor zu begleiten.
    »Sehen Sie sich die Garage nicht an?«
    »Morgen.«
    »Hören Sie, Kommissar, Mein Verhalten mag Ihnen vielleicht verdächtig erscheinen. Ich möchte Sie bitten, über mich zu verfügen, wenn ich Ihnen irgendwie dienlich sein kann. Ich weiß, ich bin Ausländer, und ich bin überdies derjenige, gegen den der schwerste Verdacht b e steht. Deshalb will ich nur um so mehr mein mö g lichstes dazu beitragen, daß der Täter entdeckt wird. Tragen Sie mir meine Ungeschicklichkeit bitte nicht nach.«
    Maigret sah ihm fest ins Gesicht. Er blickte in ein trauriges Auge, das sich langsam von ihm abwandte. Carl Andersen schloß das Tor und ging zurück ins Haus.
     
    »Warum bist du gekommen, Lucas?«
    »Ich habe mir Sorgen gemacht. Ich bin schon eine ganze Weile aus Avrainville zurück. Ich weiß nicht, wa r um mir diese Kreuzung plötzlich so unheimlich vorg e kommen ist.«
    Sie gingen beide am Straßenrand durch die Dunkelheit. Es fuhren kaum Autos.
    »Ich habe versucht, im Geist das Verbrechen zu rekonstruieren«, fuhr er fort, »und je mehr man darüber nac h denkt, desto verworrener wird die ganze Geschic h te.«
    Sie waren auf der Höhe der Michonnet-Villa angelangt, die gleichsam die Spitze eines Dreiecks bildete, an dessen anderen Winkeln zum einen die Autowerkstatt, zum anderen das Haus der Drei Witwen lag.
    Vierzig Meter lagen zwischen der Autowerkstatt und den Michonnets. Hundert Meter zwischen diesen und den Andersens.
    Miteinander verbunden waren sie durch das gleichmäßige und glänzende Band der Straße, die – wie einen Wasserlauf – hohe Bäume säumten.
    Drüben, bei den Drei Witwen, war kein Licht zu sehen. Beim Versicherungsagenten waren zwei Fenster e r leuchtet, aber die dunklen
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