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Maigrets Nacht an der Kreuzung

Maigrets Nacht an der Kreuzung

Titel: Maigrets Nacht an der Kreuzung
Autoren: Georges Simenon
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Inhalt
    1 Das schwarze Monokel
    2 Die sich bewegenden Gardinen
    3 Die Nacht an der Kreuzung
    4 Die Gefangene
    5 Das verlassene Auto
    6 Die Nacht der Abwesenden
    7 Die zwei Wunden
    8 Die Verschwundenen
    9 Die Männer mit dem Rücken zur Wand
    10 Die Ermittlung des Mörders
    11 Else
    1
    Das schwarze Monokel
    A
    ls Maigret seinen Stuhl zurückschob und sich mit einem erschöpften Seufzer vom Schreibtisch erhob, waren genau siebzehn Stunden vergangen, seit das Ve r hör von Carl Andersen begonnen hatte.
    Durch die gardinenlosen Fenster hatte man beobachten können, wie zur Mittagszeit ein Schwarm von M o distinnen und Büroangestellten die Milchbars an der Place Saint-Michel erstürmte, wie es dann ruhiger wurde in den Straßen, wie um sechs Uhr die Massen zu Metr o stationen und Bahnhöfen stürzten und wie schließlich hier und da jemand zum Aperitif bummelte.
    Die Seine hatte sich in Dunst gebettet. Ein letzter Schlepper mit drei Lastkähnen war mit grünem und r o tem Signallicht vorübergefahren. Dann der letzte Aut o bus, die letzte Metro. Die Reklameschilder vor dem Kino waren hereingeholt, die Gitter heruntergelassen wo r den.
    Der Ofen in Maigrets Büro schien lauter zu knistern als sonst. Auf dem Tisch standen leere Bierkrüge, Brotr e ste lagen herum.
    Irgendwo mußte ein Brand ausgebrochen sein, denn man hörte Feuerwehrwagen mit lautem Sirenengeheul vorüberfahren. Auch eine Razzia fand statt. Der Gefängnis wagen verließ das Polizeipräsidium gegen zwei Uhr und kam später durch den Hof des Untersuchung s gefängnisses zurück, wo er seine Beute ablud.
    Das Verhör dauerte an. Im Abstand von einer oder zwei Stunden, je nach Müdigkeit, drückte Maigret auf einen Knopf. Dann erschien Inspektor Lucas, der im Büro nebenan geschlummert hatte, warf einen Blick auf die Notizen des Kommissars und setzte das Verhör fort.
    Und Maigret streckte sich auf dem Feldbett aus, um dann mit frisch gesammelter Energie den Angriff zu e r neuern.
    Das Polizeipräsidium war fast menschenleer. Nur im Sittendezernat herrschte etwas Leben. Gegen vier Uhr morgens führte ein Inspektor einen Drogenhändler vor, der sofort vernommen wurde.
    Die Seine hüllte sich in einen milchigen Nebel, der allmählich aufhellte, bis die verlassenen Quais im Tage s licht erschienen. Schritte hallten in den Fluren. Telefone klingelten. Zurufe. Türenschlagen. Mit Besen bewaffn e te Putzfrauen.
    Und nun legte Maigret seine Pfeife, die zu heiß geworden war, auf den Tisch, erhob sich, musterte den Verhafteten verstimmt und auch ein wenig bewundernd von Kopf bis Fuß.
    Siebzehn Stunden scharfes Verhör! Vor Beginn hatte man dem Mann die Schnürsenkel, den falschen Kragen und die Krawatte abgenommen und seine Taschen g e leert.
    Die ersten vier Stunden mußte er in der Mitte des Büros stehen, während Fragen wie aus einem Maschinengewehr auf ihn einprasselten.
    »Hast du Durst?«
    Maigret war bei seinem vierten Bier, und der Verhaftete hatte ein scheues Lächeln gezeigt und begierig das Glas geleert.
    »Hast du Hunger?«
    Man hatte ihn aufgefordert, sich zu setzen, dann sich wieder zu erheben. Sieben Stunden lang hatte er nichts zu essen bekommen, und während er dann endlich ein Sandwich hinunterschlang, dauerten die bohrenden Fr a gen an.
    Sie waren zu zweit und lösten sich immer wieder ab im Verhör. In den Pausen konnten sie ein wenig schlafen, sich ausstrecken, sich dem Druck dieses monotonen Verhörs entwinden.
    Und sie mußten schließlich doch aufgeben! Maigret zuckte mit den Schultern, kramte in einer Schublade nach einer kalten Pfeife, wischte sich über die Stirn.
    Vielleicht war es weniger der körperliche und geistige Widerstand des Mannes, der ihn so beeindruckte, als vielmehr seine verwirrende Eleganz, das distinguierte Verhalten, das er bis zum Schluß beibehielt.
    Ein Mann von Welt, der eine Leibesvisitation über sich ergehen lassen muß, dem man die Krawatte abnimmt, der dann völlig nackt mit hundert anderen Missetätern eine Stunde in den Räumen des Erkennungsdienstes verbringt, der vor die Kamera und auf die Meßgeräte gezerrt und hin und her geschoben wird und dabei den oft boshaften Scherzen bestimmter Kumpane ausgesetzt ist, behält selten jene Sicherheit, die im Alltag einen Teil seiner Persönlichkeit ausmacht.
    Und selbst ihn wird nach einem sich daran anschließenden, mehrstündigen Verhör kaum noch etwas vom erstbesten Landstreicher unterscheiden – alles andere wäre ein Wunder.
    Carl Andersen hatte sich nicht
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