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Maigrets Nacht an der Kreuzung

Maigrets Nacht an der Kreuzung

Titel: Maigrets Nacht an der Kreuzung
Autoren: Georges Simenon
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Vorhänge gaben nur einen schmalen Lichtspalt frei, wovon sich einer ständig veränderte. Offenbar hielt jemand auf Augenhöhe die Vorhänge auseinander, um hinauszusehen.
    Bei der Tankstelle sah man die schwach beleuchteten Zählscheiben an den Zapfsäulen und dahinter einen grellen rechteckigen Lichtschein, der aus der Werkstatt fiel, in der gehämmert wurde.
    Die beiden Männer waren stehengeblieben, und Lucas, der einer der langjährigsten Mitarbeiter Maigrets war, erklärte:
    »Goldberg muß, das steht fest, bis hierher gekommen sein. Haben Sie sich den Toten in der Leichenhalle in Etampes angesehen? … Nein? … Ein Mann von fünfun d vierzig Jahren, ein ausgesprochen jüdischer Typ. Klein und stämmig, energisches Kinn, eigensinnige Stirn, leicht g e kräuselter Haarkranz. Sehr eleganter Anzug. Feine Unterwäsche mit Monogramm. Ein Mann, der es gewohnt war, auf großem Fuß zu leben, Befehle zu erteilen und das Geld mit vollen Händen au s zugeben. Kein Schmutz, kein Stäubchen an den Lac k schuhen. Also selbst wenn er mit dem Zug nach Arpajon gefahren ist, hat er die drei Kilom e ter, die uns vom Ort trennen, nicht zu Fuß zurückg e legt.
    Ich nehme an, er ist mit dem Wagen von Paris oder vielleicht aus Antwerpen gekommen.
    Der Arzt versichert, daß er auf der Stelle tot war und zu diesem Zeitpunkt sein Abendessen schon verdaut hatte. Dennoch hat man in seinem Magen deutliche Spuren von Champagner und gerösteten Mandeln g e funden.
    In der Nacht von Samstag auf Sonntag hat kein einziger Gastwirt in Arpajon Champagner ausgeschenkt, und ich wette mit Ihnen, daß Sie in der ganzen Stadt keine gerösteten Mandeln finden werden.«
    Ein Lastwagen rollte laut scheppernd mit fünfzig Stundenkilometern an ihnen vorbei.
    »Sehen Sie sich die Garage der Michonnets an, Kommissar. Der Versicherungsagent besitzt erst seit e i nem Jahr einen Wagen. Sein erstes Auto war eine Klapperkiste, und dieser Bretterschuppen an der Straße, der nur ein Vorhängeschloß hat, genügte Michonnet völlig als Unterstellplatz. Er hat seither noch keine Zeit g e habt, eine neue Garage zu bauen. Also wurde der neue Sechszylinder aus diesem Schuppen geholt. Er mußte zum Haus der Drei Witwen gefahren werden, man mußte dort das Tor und die Garage öffnen, Andersens Wagen heraus-, Michonnets hineinfahren. Und zu all dem mußte man Goldberg hinter das Steuer setzen und ihn dann mit einer Kugel aus nächster Nähe erschießen … Niemand hat etwas gesehen, etwas gehört. Und ke i ner hat ein Alibi! Ich weiß nicht, ob Sie auch dieses Gefühl haben, aber als ich vorhin bei Einbruch der Nacht auf dem Rückweg von Avrainville war, fühlte ich mich völlig aus dem Gleichgewicht gebracht. Dieser Fall hat etwas Anormales, irgendwie Perfides.
    Ich ging bis zum Tor des Hauses der Drei Witwen. Ich wußte, Sie sind drin. Die Fassade war dunkel, aber im Garten sah ich einen schwachen gelblichen Lichtschein.
    Es ist idiotisch, ich weiß! Aber mit einem Mal bekam ich Angst, um Sie, versteht sich … Drehen Sie sich jetzt nicht zu hastig um … Madame Michonnet lauert hinter ihrem Vorhang …
    Wahrscheinlich täusche ich mich, aber ich könnte schwören, daß uns die Hälfte aller vorbeikommenden Autofahrer auf eine besondere Art beobachten.«
    Maigret ließ seinen Blick noch einmal über das Dreieck schweifen. Die Felder sah man nicht mehr, die Dunke l heit hatte sie verschluckt. Auf der rechten Seite der Hauptstraße mündete gegenüber der Autowerkstatt die Straße nach Avrainville ein, die nicht, wie die Hauptstr a ße, von Bäumen gesäumt war, sondern an deren einer Seite sich eine Reihe von Telegrafenmasten hinzog.
    In achthundert Metern Entfernung einige Lichter: die ersten Häuser des Dorfes.
    »Champagner und geröstete Mandeln«, murmelte der Kommissar vor sich hin.
    Langsam ging er weiter und blieb dann wie ein Spaziergänger vor der Autowerkstatt stehen, in der ein Mechaniker im Overall im stechenden Licht einer Boge n lampe den Reifen eines Autos wechselte.
    Es war mehr eine Reparaturwerkstatt als ein Autohandel. Ein Dutzend Wagen stand herum, alle alt und unmodern. Einer hing, ohne Räder und Motor, nur als Gerippe an den Ketten eines Flaschenzugs.
    »Gehen wir abendessen! Um wieviel Uhr soll Madame Goldberg eintreffen?«
    »Ich weiß es nicht. Im Laufe des Abends.«
     
    Im Gasthof von Avrainville war niemand. Eine Theke, ein paar Flaschen, ein mächtiger Ofen, ein kleiner Billardtisch mit steinharten Banden und durchlöchertem Filz, ein
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