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Maigrets Nacht an der Kreuzung

Maigrets Nacht an der Kreuzung

Titel: Maigrets Nacht an der Kreuzung
Autoren: Georges Simenon
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noch nicht völlig dunkel. Der Rasen zeigte ein gleichmäßiges Grün, und man meinte, die Grashalme zählen zu können, so deutlich hoben sie sich ab.
    Obwohl er nicht gepflegt wurde, strahlte der Park eine Harmonie aus, die an das Bühnenbild einer Opernaufführung erinnerte: Jedes Gebüsch, jeder Baum, selbst jeder Ast saß genau an seinem Platz. Zusammen mit den bis zum Horizont reichenden Feldern und dem Dach eines fernen Gehöfts war es die Vollendung einer Art Symphonie auf die Ile-de-France.
    Anders dieser Salon, wo inmitten antiker Möbelstücke fremdsprachige Bücher standen mit Titeln, die Ma i gret nicht verstand. Und diese beiden Ausländer, Bruder und Schwester, hauptsächlich letztere, die in alles einen Mi ß klang setzten.
    Wirkte sie zu sinnlich, zu lasziv? Dabei hatte sie nichts Provozierendes, war vielmehr schlicht in ihren Gesten wie in ihrer ganzen Haltung.
    Nur daß es ganz und gar nicht die Sorte Schlichtheit war, die in dieser Umgebung angebracht gewesen wäre. Da hätten dem Kommissar die drei Alten mit ihren u n geheuerlichen Leidenschaften besser ins Bild gepaßt.
    »Würden Sie mir erlauben, das Haus zu besichtigen?«
    Weder bei Carl noch bei Else spürte man ein Zögern. Und während er die Lampe aufnahm, setzte sie sich in einen Sessel.
    »Wenn Sie mir folgen wollen.«
    »Ich vermute, Sie halten sich hauptsächlich im Salon auf?«
    »Ja. Hier arbeite ich, und auch meine Schwester verbringt hier die meiste Zeit des Tages.«
    »Haben Sie kein Personal?«
    »Sie wissen inzwischen, wieviel ich verdiene. Es ist zuwenig, um mir Dienstboten leisten zu können.«
    »Wer bereitet die Mahlzeiten zu?«
    »Ich.«
    Er sagte es schlicht, ohne Verlegenheit und ohne Scham. Und als die beiden Männer in einen Flur traten, stieß Andersen eine Tür auf, leuchtete mit der Lampe hinein und sagte leise:
    »Sie müssen die Unordnung entschuldigen.«
    Die Küche war mehr als unordentlich. Sie war dreckig! Ein Spirituskocher, an dem übergekochte Milch, Sauce und Fett klebten, stand auf einem mit einem Stück Wachstuch abgedeckten Tisch. Brotkanten lagen herum. In einer Pfanne auf dem Tisch der Rest eines Schnitzels und im Spülstein schmutziges Geschirr.
    Zurück im Flur, warf Maigret einen Blick in den Salon, wo man nur Elses Zigarette im Dunkeln glimmen sah.
    »Wir benutzen weder das Eßzimmer noch den kleinen Salon, die nach vorne hinaus liegen. Wollen Sie sie sehen?«
    Der Schein der Lampe fiel auf einen recht schönen Parkettboden, auf gestapelte Möbel und am Boden gelagerte Kartoffeini Die Läden waren geschlossen.
    »Unsere Schlafzimmer sind oben.«
    Es war eine breite Treppe, von der eine Stufe knarrte. Der Parfumduft wurde intensiver, je höher sie stiegen.
    »Dies ist mein Zimmer.«
    Eine einfache Matratze auf dem Fußboden diente als Bett. Ein kümmerlicher Waschtisch. Ein hoher Gard e robenständer, Stil Louis xv . Ein Aschenbecher, randvoll mit Kippen.
    »Sie rauchen wohl viel?«
    »Morgens, im Bett. Vielleicht dreißig Zigaretten, während ich lese.«
    Vor der Tür, die der seinen gegenüberlag, sagte er hastig:
    »Das Zimmer meiner Schwester.«
    Aber er öffnete nicht. Und sein Gesicht verdüsterte sich, als Maigret den Knauf drehte und die Tür aufstieß.
    Immer noch hielt Andersen die Lampe in der Hand, aber er vermied es, mit ihr ins Zimmer zu treten. Es roch so stark nach Parfum, daß es einem fast den Atem nahm.
    Dem ganzen Haus fehlte jeder Stil, jede Ordnung, jeder Luxus. Ein vorläufiges Lager, wo man die Überblei b sel seiner Vorgänger aufbraucht.
    Aber diesen im Halbdunkel liegenden Raum empfand der Kommissar als eine heiße und wohltuende Oase. Der Boden war völlig mit Tierfellen bedeckt, unter anderem mit einem prächtigen Tigerfell, das als Bettvorl e ger diente.
    Das Bett selbst war aus Ebenholz. Auf der Überdecke aus schwarzem Samt lag zerknitterte Seidenwäsche.
    Andersen hatte sich mit der Lampe fast unmerklich in den Flur zurückgezogen, und Maigret folgte ihm jetzt.
    »Es gibt noch drei Zimmer, die wir aber nicht bewohnen.«
    »Dann ist das Zimmer Ihrer Schwester also das einzige, welches zur Straße hin liegt?«
    Statt zu antworten, deutete Carl auf eine schmale Stiege.
    »Der Personalaufgang. Wir benutzen ihn nicht. Wenn Sie die Garage sehen wollen …«
    Im tanzenden Schein der Petroleumlampe stiegen sie hintereinander die Treppe hinab. Immer noch war die rote Glut einer Zigarette der einzige Lichtpunkt im S a lon.
    Je weiter Andersen voranschritt, desto mehr erhellte
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