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Maigrets Nacht an der Kreuzung

Maigrets Nacht an der Kreuzung

Titel: Maigrets Nacht an der Kreuzung
Autoren: Georges Simenon
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danach erkundigt. Es bezieht sich auf das Haus der Andersens, das während der Revolution entstanden ist und über lange Zeit das einzige Haus an der Kreuzung war. Zuletzt, vor fünfzig Jahren, wurde es anscheinend von drei Witwen bewohnt, einer Mutter mit ihren zwei Töchtern. Die Mutter war neunzig Jahre alt und gelähmt. Die ältere der Töchter war siebenundsec h zig, die andere gut sechzig. Drei schrullige Greisi n nen, die so geizig waren, daß sie nichts in der Gegend kauften, sondern von den Erzeugnissen aus ihrem Gemüsegarten und dem Hühnerhof lebten. Die Fensterl ä den wurden nie aufgemacht. Manchmal sah man sie wochenlang überhaupt nicht. Die ältere Tochter hatte sich ein Bein gebrochen – was erst zutage kam, als sie tot war. Eine merkwürdige Geschichte! Man hatte lange nichts mehr aus dem Haus der Drei Witwen gehört. Die Leute tuschelten schon darüber. Da entschloß sich der Bürge r meister von Avrainville, sich einmal umzusehen. Er fand sie alle drei tot, und der Zeitpunkt des Todes lag mindestens zehn Tage zurück. Angeblich wurde damals in den Zeitungen ausführlich darüber berichtet. Ein hiesiger Lehrer, den diese rätselhafte Angelegenheit nicht mehr losließ, hat sogar eine Broschüre herausgegeben, in der er behauptet, die Tochter mit dem gebrochenen Bein habe aus Haß gegen die noch muntere Schwester diese und auch gleich die Mutter vergiftet. Sie sei dann selbst neben den beiden Leichen gestorben, verhungert, weil sie sich nicht bew e gen konnte …«
    Maigret starrte auf das Haus, von dem er nur den oberen Teil sah, dann musterte er den Neubau der Michonnets und die noch neuere Autowerkstatt, sah den Autos nach, die mit achtzig Stundenkilometern über die Hauptstraße fuhren.
    »Geh jetzt die Zimmer reservieren und komm dann wieder her.«
    »Was haben Sie vor?«
    Der Kommissar zuckte mit den Schultern und begab sich zunächst zum Tor des Hauses der Drei Witwen. Es war ein weitläufiges Anwesen mit einem drei oder vier Hektar großen Park, den einige herrliche Bäume schmüc k ten.
    Um eine Rasenfläche herum verlief eine leicht anste i gende Zufahrt. Sie führte auf der einen Seite zur Eingangstreppe und endete auf der anderen am ehemaligen Pferdestall, der inzwischen zur Garage umgebaut war und in dessen Giebel noch eine rostige Eisenrolle hing.
    Nichts regte sich. Ohne den rauchenden Schornstein hätte man hinter den zugezogenen Vorhängen keinerlei Leben vermutet. Es wurde allmählich Abend, und in der Ferne sah man Pferde ein Feld überqueren und ihrem Hof zustreben.
    Maigret sah einen kleinen Mann, der die Straße entlangkam. Seine Hände steckten in den Taschen seiner Flanellhose, er hatte eine Pfeife im Mund und trug eine Mütze. Und wie es auf dem Lande unter Nachbarn ü b lich ist, trat dieser Mann ganz zwanglos zu ihm.
    »Leiten Sie die Untersuchung?«
    Er trug keinen Hemdkragen, und seine Füße steckten in Pantoffeln. Aber seine Jacke war aus schönem grauem englischem Tuch, und an einem Finger prangte ein ries i ger Siegelring.
    »Ich bin der Besitzer der Werkstatt an dieser Kreuzung. Ich habe Sie von weitem gesehen …«
    Ein ehemaliger Boxer, garantiert! Seine Nase war gebrochen gewesen. Sein Gesicht war wie gehämmert von Faustschlägen. Seine schleppende Stimme war heiser und klang vulgär, aber sehr selbstsicher.
    »Was sagen Sie zu dieser Autogeschichte?«
    Er lachte und entblößte dabei seine Goldzähne.
    »Wenn kein Toter im Spiel wäre, würde ich es für einen lustigen Streich halten. Sie können das nicht verst e hen! Sie kennen den Typ von gegenüber nicht, Mössiö Michonnet, wie wir ihn nennen. Ein Herr, der keine Vertraulichkeiten liebt, der sich sooo hohe Hemdkragen aufknüpft und Lackschuhe trägt. Und erst Madame Michonnet! Sie haben sie noch nicht gesehen? Hm! Sie g e hören zu der Art von Leuten, die sich wegen nichts und wieder nichts beschweren, die gleich die Gendarmen h o len, weil die Autos zuviel Lärm machen, wenn sie an meiner Tankstelle halten …«
    Maigret sah sein Gegenüber weder ermutigend noch abweisend an. Er sah ihn ganz einfach an, was für einen Schwätzer verwirrend genug gewesen wäre, auf den Tankstellenbesitzer aber gar keinen Eindruck machte.
    Ein Bäcker fuhr vorüber, und der Mann in Pantoffeln schrie:
    »Salut, Clément! Deine Hupe ist repariert! Du kannst sie dir bei Jojo abholen!«
    Er wandte sich wieder Maigret zu, bot ihm eine Zigarette an und fuhr fort:
    »Monatelang hat er davon geredet, eine neue Karre zu kaufen, und
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