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Maigrets Nacht an der Kreuzung

Maigrets Nacht an der Kreuzung

Titel: Maigrets Nacht an der Kreuzung
Autoren: Georges Simenon
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sämtlichen Autohändlern ist er damit auf den Wecker gegangen, einschließlich mir. Er wollte Ermäßigungen. Er hielt uns auf Trab. Die Karosserie war zu dunkel oder zu hell. Er wollte alles in Weinrot, kein zu starkes Weinrot, aber doch weinrot … Kurz, letzten E n des kaufte er den Wagen bei einem Kollegen in Arp a jon … Und es war schon zum Totlachen, das sehen Sie doch ein, als er den Wagen ein paar Tage später in der Garage der Drei Witwen wiederfand. Ich hätte viel darum geg e ben, das Gesicht unseres guten Mannes zu sehen, als er morgens anstelle seines Sechszylinders die alte Kiste en t deckte! Schade, daß der Tote alles verdirbt! Denn ein Toter ist eben ein Toter, und vor solchen Di n gen muß man schließlich Respekt haben! … Sagen Sie, Sie kommen doch gelegentlich auf einen Schluck zu uns herein? Es gibt noch kein Bistro an der Kreuzung, aber das wird schon kommen! Wenn ich einen anständigen Jungen finde, der es betreibt, kriegt er von mir das N ö tige …«
    Der Mann mußte gemerkt haben, daß seine Worte wenig Anklang fanden, denn er reichte Maigret die Hand.
    »Bis später!«
    Er schlenderte davon, blieb bei einem Bauern, der auf einem Karren vorbeikam, stehen und redete mit ihm. Bei den Michonnets sah man immer noch ein Gesicht hinter den Gardinen. Die ländliche Gegend zu beiden Seiten der Straße wirkte in der Dämmerung öde und monoton. Von weit her waren Geräusche zu vernehmen: ein Wiehern und das Läuten einer etwa zehn Kilometer entfernten Kirchenglocke.
    Der erste Wagen mit eingeschalteten Scheinwerfern, die im Zwielicht allerdings nur schwach strahlten, fuhr vorüber.
    Maigret streckte die Hand nach dem Klingelzug aus, der rechts neben dem Tor hing. Das klare und feierliche Läuten einer Bronzeklingel tönte durch den Garten. D a nach blieb es lange still. Die Tür über dem Treppenau f gang öffnete sich nicht. Aber hinter dem Haus knirschte der Kies. Eine hohe Gestalt zeichnete sich in der Dä m merung ab, dann ein blasses Gesicht, ein schwarzes M o nokel.
    Carl Andersen kam ohne sichtbare Erregung auf das Tor zu, öffnete es und nickte mit dem Kopf.
    »Ich ahnte, daß Sie kommen würden. Ich vermute, Sie möchten sich die Garage ansehen. Die Staatsanwaltschaft hat sie versiegelt, aber Sie haben gewiß die Vol l macht …«
    Er trug denselben Anzug wie am Quai des Orfèvres: einen Anzug von sicherer Eleganz, dessen Stoff alle r dings zu glänzen begann.
    »Ist Ihre Schwester da?«
    Das Licht reichte schon nicht mehr aus, um ein Zucken auf Andersens Gesicht ausmachen zu können, aber die Frage veranlaßte ihn immerhin, sein Monokel zurech t zurücken.
    »Ja …«
    »Ich würde sie gerne sehen.«
    Ein kurzes Zögern. Ein neuerliches Nicken.
    »Wenn Sie mir bitte folgen wollen.«
    Sie gingen um das Gebäude herum. Auf der Rückseite erstreckte sich ein sehr weiter Rasen, über dem die Terrasse thronte. Alle Räume des Erdgeschosses waren durch hohe Glastüren ebenerdig mit dieser Terrasse ve r bunden.
    In keinem der Zimmer brannte Licht. Am Ende des Parks zogen Nebelschwaden zwischen den Baumstämmen dahin.
    »Gestatten Sie, daß ich Ihnen den Weg zeige?«
    Andersen stieß eine Glastür auf, und Maigret folgte ihm in einen großen Salon, der in gedämpftem Dämmerlicht lag. Durch die offenstehende Tür drang die kühle und zugleich schwere Abendluft und mit ihr ein Geruch nach Gras und feuchtem Laub herein. Ein ei n ziges Holzscheit glühte im Kamin.
    »Ich gehe meine Schwester holen.«
    Andersen hatte kein Licht gemacht, schien gar nicht zu bemerken, daß die Nacht hereinbrach. Maigret, nun allein, schritt langsam durch den Raum, blieb vor einer Staffelei stehen, auf der eine Gouacheskizze stand. Es war der Entwurf für einen modernen Stoff in kühnen Farben und mit einem seltsamen Muster.
    Weniger seltsam allerdings als diese Atmosphäre, die Maigret an die drei Witwen von einst erinnerte.
    Einige der Möbelstücke mußten ihnen gehört haben. Sessel im Empirestil, an denen die Farbe abgeblättert, der Seidenbezug zerschlissen war, und schwere Vorhänge aus geripptem Gewebe, die seit fünfzig Jahren nicht mehr zugezogen worden waren.
    Einen Gegensatz dazu bildete das aus rohem Holz gezimmerte Regal entlang einer Wand, in dem sich ungebundene Bücher in französischer, deutscher, englischer und gewiß auch dänischer Sprache stapelten. Ihre weißen, gelben und auch bunten Titelblätter hoben sich g e gen ein veraltetes Sitzkissen, gegen gesprungene Vasen und den in seiner Mitte
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