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225 - Kalis Kinder

225 - Kalis Kinder

Titel: 225 - Kalis Kinder
Autoren: Michelle Stern und Christian Schwarz
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10. September 2524, Südküste Induus
    Der bunt bestickte Ballonkörper der Roziere schwebte in einem wolkenlos blauen Himmel. Weit unter der Gondel lagen glitzernde, weiß schäumende Wellen, die mit einem rhythmischen Klatschen gegen die Steine und Bäume des Ufers schlugen. Mangrovenwälder zogen sich am Ufersaum entlang und wogten in das grüne Land hinein. Ihre hohen Stelzwurzeln waren hin und wieder aus der Luft zu erkennen. Palmen und Laubbäume rundeten das Bild des fruchtbaren Dschungels zu ihrer linken Seite ab.
    Matthew Drax stand am Steuer der Roziere und blickte durch das breite Panoramafenster hinab.
    Das müsste jetzt die Südküste Indiens sein…
    Er ging gedanklich den bisherigen Weg und seine Berechnungen durch. Vor ihm am Fenster stand Aruula. Die Barbarin blickte stumm in die Tiefe, verharrte reglos in ihrer Position, wie eine Jägerin, die äsendes Wild belauerte. Matt hakte seine Berechnungen ab und betrachtete stattdessen Aruulas fast nackten Körper mit den zahlreichen Bemalungen, mit denen sie ihrem Gott Wudan gefallen wollte. Erst bei ihrem letzten Zwischenstopp auf einer kleineren Insel hatte sie von einem halsabschneiderischen Schamanen neue Farbe für ihre Ritualzeichnungen erstanden.
    Matt grinste. Mir gefällt es auch.
    Er war froh, Aruula endlich gefunden zu haben. Und doch machte er sich noch immer Sorgen. Seit dem Kampf gegen ihren gemeinsamen Sohn Daa’tan war Aruula oft in sich gekehrt. Sie versuchte es vor ihm zu verbergen, doch die Erlebnisse der letzten Wochen hatten deutliche Spuren hinterlassen. Dazu mochte auch ihr harter geistiger Kampf gegen die selbstgefällige Hydritin E’fah alias Nefertari beigetragen haben, deren Geist Aruulas Körper eine Zeitlang in Besitz genommen hatte. Gemeinsam hatte man Nefertari überreden können, in den Körper von Yann Haggard umzuziehen. Damit war der Seher eine Art Sammelgefäß für hydritische Geister, denn in ihn war bereits der Geist Gilam’eshs gefahren, der Matt im Zeitstrahl verfolgt hatte.
    Glücklicherweise hatte Gilam’esh durch den Kontakt mit dem menschlichen Verstand den Wahnsinn überwunden, der während des äonenlangen Aufenthalts im Strahl über ihn gekommen war. Jetzt übte er einen regulierenden Einfluss auf Nefertari aus. Immerhin hatte sie gegen die Lehren des uralten Weltenwanderers verstoßen. Jetzt versuchte er sie auf den Weg der hydritischen Tugend zurückzuführen.
    Matt warf Yann einen kurzen Blick zu. Der Seher hockte in einem einfachen grauen Gewand im Schneidersitz auf den Planken und hatte die Hände wie Schalen auf seinen Knien abgelegt. Seitdem sie Madagaskar verlassen hatten, meditierte er regelmäßig. Seine Disziplin und Geistesgegenwart waren erstaunlich. Gemeinsam mit Gilam’esh schien der Seher über sich selbst hinauszuwachsen.
    Vermutlich hatte er in der Zeit seiner Kopfschmerzen durch den Tumor mit mehr inneren Stimmen zu kämpfen als jetzt, dachte Matt. Seit Gilam’esh in ihm wohnte, war Yann schmerzfrei, und seit dem Flug durch den Zeitstrahl alterte er nicht mehr. So wuchs auch der Tumor nicht weiter. In Gilam’esh’gad, der geheimen Stadt der Hydriten, würde man die Wucherung entfernen können, und dann würden auch die beiden fremden Geister neue Klonkörper beziehen.
    Matthew schloss kurz die Augen und erinnerte sich an den Albtraum der letzten Nacht. Verschwommene Bildfetzen tauchten vor ihm auf, wie ein blutiges, im Nebel liegendes Schlachtfeld. Es gab kaum noch eine Schlafphase, in der er keinen Albtraum hatte. Ich muss unbedingt wieder ein wenig abschalten…
    Sein Blick suchte Aruula. Die Geliebte stand noch immer am Fenster. Matt riskierte es, das Ruder kurz sich selbst zu überlassen, und trat neben sie. Gerade überflogen sie ein Stück Land. Es empfahl sich, sich am Ufer zu halten, weil es im Laufe der Monsunregenfälle immer wieder zu gefährlichen Niederschlägen kam, manchmal sogar mit Hagelkörnern, die die Kraft hatten, das aufwändig verzierte Luftschiff zu zerfetzen.
    »Da, schau!« Aruula zeigte auf ein überdimensional großes Wildschwein, das auf einer Lichtung stand. Es war eine Bache mit vier Frischlingen. Matt glaubte so etwas wie Wehmut in ihrer Stimme zu hören, aber vielleicht bildete er sich das auch nur ein.
    Sie war so glücklich gewesen, Mutter zu sein… aber Daa’tan hatte nicht nur sie grausam enttäuscht. Jetzt schmorte er in einem ausbruchsicheren Gefängnis nahe der Wolkenstadt Wimereux. Matt war dankbar, dass Kaiser de Rozier nicht die
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