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Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien

Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien

Titel: Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien
Autoren: Georges Simenon
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haben wir unter unvorstellbaren Schwierigkeiten aufgetrieben! …
    Drei Jahre ging das nun schon so, daß wir uns – ein jeder für sich – damit herumschlagen mußten; van Damme in Bremen, Jef in Lüttich, Janin in Paris und ich in Reims …
    Drei Jahre, daß wir einander kaum zu schreiben wagten und daß Lecocq d’Arneville uns zwangsweise zurückversetzte in die unheilschwangere Atmosphäre der apokalyptischen Kumpane …
    Ich habe eine Frau, Lombard ebenfalls … Wir haben beide Kinder und ihretwegen haben wir uns bemüht durchzuhalten.
    Neulich hat uns van Damme telegrafisch von Lecocqs Selbstmord benachrichtigt und eine Zusammenkunft vorgeschlagen.
    Alle sind gekommen. Dann sind Sie aufgetaucht … Nachdem Sie gegangen waren, haben wir erfahren, daß Sie nun im Besitz des blutigen Anzugs und wild entschlossen seien, die ganze Sache wieder aufzurollen …«
    »Wer von Ihnen hat mir an der Gare du Nord einen der Koffer gestohlen?« fragte Maigret.
    Van Damme antwortete:
    »Janin! … Ich war vor Ihnen angekommen und hielt mich auf einem der Bahnsteige versteckt.«
    Sie waren allesamt erschöpft. Der Kerzenstummel würde vielleicht noch zehn Minuten brennen, länger auf keinen Fall. Durch eine ungeschickte Bewegung des Kommissars rollte der Totenkopf zu Boden. Es sah aus, als knabbere er an den Dielen.
    »Wer hat mir den Brief ins Hôtel du Chemin de Fer geschickt?«
    »Ich!« erwiderte Jef, ohne aufzublicken. »Es war wegen meiner Kinder, wegen meiner kleinen Tochter, die ich mir noch nicht einmal richtig angeguckt habe … Van Damme und Belloir haben Verdacht geschöpft und sind ins Café de la Bourse gekommen.«
    »Und Sie waren es auch, der geschossen hat?«
    »Ja … Ich konnte einfach nicht mehr. Ich wollte leben, bloß leben – mit meiner Frau und den Kindern –, deshalb habe ich Ihnen draußen aufgelauert … Ich habe für fünfzigtausend Francs Wechsel ausgestellt, fünfzigtausend Francs, die Lecocq verbrannt hat! … Aber was macht das schon? Ich werde alles zurückzahlen … Irgendwie werde ich es schon schaffen … Bloß, mit Ihnen im Nacken …«
    Maigrets Augen wanderten hin zu van Damme.
    »Und Sie sind immer vor mir hergelaufen und haben versucht, alle Verdachtsmomente zu beseitigen.«
    Sie schwiegen. Die Kerze flackerte. Jef Lombard war der einzige, auf den das Licht durch eine der roten Scheiben fiel.
    Es war in diesem Moment, daß Belloirs Stimme zum ersten Mal versagte:
    »Vor zehn Jahren, gleich nach dem … nach der Geschichte … hätte ich mich damit abgefunden …« sagte er. »Ich hatte mir einen Revolver gekauft für den Fall, daß ich verhaftet würde … Aber nachdem man zehn Jahre gelebt hat! … Zehn Jahre der Mühsal, des Existenzkampfs, unter ganz neuen Umständen, mit Frau und Kind … Ich glaube, ich wäre auch fähig gewesen, Sie in die Marne zu stoßen oder im Dunkeln auf Sie anzulegen, als Sie aus dem Café de la Bourse kamen …
    Denn in einem Monat, nein, nicht einmal – in sechsundzwanzig Tagen, ist die Verjährungsfrist abgelaufen …«
    Mitten in dem Schweigen, das diesen Worten folgte, loderte die Flamme plötzlich noch einmal hoch auf und erlosch. Dann herrschte tiefste, undurchdringliche Finsternis.
    Maigret machte keine Bewegung. Er wußte, daß Lombard links von ihm stand, van Damme ihm gegenüber an der Wand lehnte und Belloir sich höchstens einen Schritt entfernt hinter ihm befand.
    Er wartete, ohne auch nur die Hand in die Tasche mit dem Revolver zu stecken.
    Ganz deutlich spürte er, wie ein Schauder, oder eher ein Keuchen Belloirs Gestalt erbeben ließ, bevor dieser ein Streichholz entzündete und murmelte:
    »Ich nehme an, Sie wollen, daß wir jetzt gehen …«
    Das Licht des Flämmchens verlieh den Augen jedes der Anwesenden einen tieferen Glanz. Ihre Körper berührten sich beim Hinausdrängeln durch die Tür und auf der engen Treppe. Van Damme, der vergessen hatte, daß das Geländer von der achten Stufe an fehlte, verlor das Gleichgewicht.
    Die Schreinerwerkstatt war geschlossen. Hinter der Gardine eines Fensters konnte man eine Alte im Schein eines Petroleumlämpchens stricken sehen.
    »War es dort?« fragte Maigret, auf die uneben gepflasterte Straße weisend, die hundert Meter von ihnen entfernt in den Quai mündete, da wo eine Gaslaterne an der Hausecke befestigt war.
    »Die Maas stand schon bei dem dritten Haus«, erwiderte Belloir. »Ich mußte bis an die Knie ins Wasser waten, damit … damit die Strömung ihn erfaßte …«
    Sie schlugen die
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