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Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien

Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien

Titel: Maigret und der Gehängte von Saint-Pholien
Autoren: Georges Simenon
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aber sind dort geblieben, in dem Raum, wo …
    Ich kann Ihnen nicht beschreiben, was ich empfand, als Lecocq d’Arneville wieder auftauchte, nach all den Jahren unverändert vor mir stand …
    Es war, als sei das Leben für die einen weitergegangen und für die anderen stehengeblieben …
    Er sagte, er habe den Namen gewechselt, um durch nichts an die Tragödie von damals erinnert zu werden, habe seine ganze Lebensweise geändert, kein einziges Buch mehr aufgeschlagen.
    Er hatte sich eingeredet, eine ganz neue Existenz als einfacher Handwerker aufbauen zu können.
     
    Ich hab mir das alles selbst aus Andeutungen zusammenreimen müssen, denn was er von sich gab, war ein wirres Durcheinander von ironiegeladenen Sätzen, Vorwürfen und ungeheuerlichen Anschuldigungen …
    Er war gescheitert, nichts war ihm gelungen. Ein Teil seiner selbst hatte sich einfach nie von diesem Raum zu lösen vermocht.
    Uns anderen, glaube ich, ging es ebenso, nur daß es sich weniger stark bemerkbar machte, nicht diesen krankhaft-selbstquälerischen Grad erreichte! …
    Ich glaube, es war Klein, dessen Gesicht ihn verfolgte, Klein mehr noch als Willy …
    Und selbst als er verheiratet war, in der Nähe seines Kindes, kam es plötzlich über ihn, daß er fort mußte, sich betrinken … Er war eben nicht mehr imstande, glücklich zu sein oder auch nur einen Anschein von Frieden zu finden …
    Er liebe seine Frau, hat er mir ins Gesicht geschrieen, und habe sie nur verlassen, weil er sich neben ihr wie ein Dieb vorgekommen sei …
    Ein Dieb fremden Glücks! Eines Glücks, das Klein gestohlen worden war … und dem anderen …
    Ich habe seither viel über alles nachgedacht, wissen Sie, und ich glaube, daß ich verstanden habe … Wir haben damals mit entsetzlichen Ideen, mit dem Mystischen und mit dem Morbiden unser Spiel getrieben …
    Es war zwar nur ein Spiel, das Spiel dummer Jungen, aber für zwei von uns, die beiden Empfindsamsten, ist Ernst daraus geworden …
    Klein und Lecocq d’Arneville … Wir haben vom Töten gesprochen – Klein hat es tun wollen und hat sich schließlich selbst getötet! Lecocq, von Grauen gepackt, hat es die Nerven zerrüttet. Er ist den Alpdruck ein Leben lang nicht mehr losgeworden …
    Wir anderen haben dem zu entkommen gesucht, uns bemüht, die Verbindung mit dem normalen Leben wiederherzustellen.
    Lecocq d’Arneville dagegen hat sich auf Gedeih und Verderb in die Reue, in maßlose Verzweiflung gestürzt. Er hat sein Leben verpfuscht – und das seiner Frau, das seines Sohnes dazu!
    Und so hat er sich dann auch gegen uns gewandt, denn das war der Grund, weshalb er zu mir kam. Das ist mir erst später klar geworden …
    Er hat alles genau betrachtet, mein Haus, meinen Haushalt, meine Bank, und ich habe gefühlt, daß er es als seine Aufgabe ansah, das alles zu zerstören …
    Um Klein zu rächen! … Und um sich selbst zu rächen!
    Er hat mir gedroht … Er hatte den Anzug mit all den Blutflecken und zerrissenen Stellen aufgehoben, den einzigen greifbaren Beweis der Vorgänge vom Weihnachtsabend …
    Er hat Geld gefordert, viel Geld! Und später hat er noch mehr verlangt …
    Denn war das nicht unser wunder Punkt? Hing nicht eines jeden Position, die van Dammes, Lombards, meine, ja selbst Janins vom Geld ab? …
    So hat für uns ein neuer Alptraum begonnen … Lecocqs Überlegungen waren richtig gewesen. Er ging vom einen zum anderen, den unseligen Anzug mit sich schleppend, und rechnete mit diabolischer Genauigkeit die Summen aus, die er uns abverlangen mußte, um uns in Schwierigkeiten zu bringen …
    Sie sind bei mir gewesen, Herr Kommissar. Das Haus, das Sie gesehen haben, ist mit Hypotheken belastet. Meine Frau glaubt ihre Mitgift unangetastet auf der Bank, dabei ist kein Centime mehr davon übrig … Und ich habe mir noch andere Unregelmäßigkeiten zuschulden kommen lassen!
    Zweimal hat er van Damme in Bremen aufgesucht, und in Lüttich war er auch …
    Stets unverändert in seiner Verbitterung, unnachgiebig in seiner Entschlossenheit, jede Spur von Glück zu vernichten.
    Wir waren sechs, die Willys Tod auf dem Gewissen hatten. Klein war umgekommen, Lecocq verwandelte jede Minute seines Lebens in einen Alptraum …
    Wir anderen sollten ebensosehr leiden. An das Geld, das er uns abnahm, hat er überhaupt nicht gerührt. Er lebte ärmlich wie zu der Zeit, als Klein und er sich für ein paar Sous heiße Blutwurst kauften. Die Geldscheine verbrannte er einfach …
    Und jeden dieser verbrannten Scheine
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