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Magna Mater - Roman

Magna Mater - Roman

Titel: Magna Mater - Roman
Autoren: C. Bertelsmann
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lange Kältezeit ohne Nahrungsaufnahme zu verschlafen.«
    In seinem Laboratorium öffnete er einen Wandschrank und holte eine leblose Fledermaus hervor. »Hier in diesem Kühlfach habe ich solch ein Exemplar. Es ist völlig apathisch und kann nicht mehr fliegen. Fühl mal, wie kalt es ist.«
    Ich verzichtete darauf, die Fledermaus zu berühren. Er legte sie zurück und nahm ein Tier mit einem Fell aus dem Kühlfach, steif, wie tiefgefroren. Eine Ratte.
    Ich fragte: »Seit wann fallen Ratten in den Winterschlaf?«
    »Es gelang uns, die Substanz, die den Winterschlaf auslöst, aus dem Blutplasma von Fledermäusen zu destillieren. Wenig später hatten wir das Verfahren so verfeinert, dass wir uns daranwagen konnten, es am Menschen auszuprobieren.«
    »Am Menschen? Wieso am Menschen? Wozu soll das gut sein?«
    »Nun, es gibt viele gute Gründe, einen Menschen in Dauerschlaf zu versetzen: Heilschlaf, langwierige Operationen, aber auch völlig neue Indikationen. Ganze Bevölkerungsgruppen könnten Hungersnöte oder Katastrophen verschlafen. Da die Schläfer weder Nahrung noch Bewegung brauchen, könnte man sie auf engstem Raum lagern.«
    Er legte die Ratte zurück und meinte: »Wenn sie nicht im Koma läge, wäre sie bereits gestorben. Keine ihrer Artgenossen wird so alt wie sie. Es gibt nichts, was einen Organismus so zu regenerieren vermag wie ein mehrmonatiger Heilschlaf. Ein wahrer Jungbrunnen. Kein nächtlicher Schlummer vermag das. Dafür ist die Nacht viel zu kurz. Sämtliche überflüssigen Pfunde werden verbrannt. Mit dem Fett reinigt sich der Körper von allen Schlacken. Das Gewebe verjüngt sich. Sehvermögen und Gehör verbessern sich gewaltig, sogar das Gedächtnis. Auf diese Art und Weise vermag man weit über hundert Jahre alt zu werden. Und wenn man dann hochbetagt aus dem Leben scheidet, dann geschieht das fast immer während des Winterschlafs. Man wacht einfach nicht mehr auf.«
    Ich fand das empörend. Während wir uns genötigt sahen, die Lebenszeit der Blühenden noch weiter herabzusetzen, hatten die Skarabäen Verfahren entwickelt, mit denen sich ihr Leben enorm verlängern und sogar verjüngen ließ.
    »Ich habe noch nie von dieser Wunderkur gehört.«
    »Unsere Experimente unterliegen wie jegliche Aktivität auf Arkadia der Geheimhaltung.«
    Er holte eine andere Fledermaus aus dem Kühlfach und klopfte ihr mit dem Zeigefinger leicht auf den Kopf. Sie gab einen quiekenden Laut von sich, ohne zu erwachen.
    »Ein beneidenswert tiefer Schlaf.«
    »Ja«, erwiderte der Alte, »beneidenswert tief. Auch ich gedenke einen langen Schlaf zu tun.«
    »Unser Fledermausturm trägt seinen Namen zu Recht«, sagte Karras, als ich ihm von dem Gespräch erzählte. »Wie eine Fledermaus gleitest du dort aus der Zeit.«
    »Wird Estragon lange dort bleiben?«
    »Ja, sehr lange.«
    Wir hatten uns in der Höhle um ein Feuer versammelt. Rufus hielt einen silbernen Kelch in den Händen. Er hob ihn hoch empor und sagte: »Gott ist klein. Siehe, das ist sein Blut zum Erhalt unser aller.« Er führte ihn an die Lippen und reichte ihn weiter. Nun tranken wir alle von dem göttlichen Serum, gewonnen aus reinen Bakterienkulturen.
    Rituelle Vermählung mit den Mikroben nennen sie das. Es war das erste Mal, dass ich daran teilgenommen habe. Ein Ritual von berauschender Wirkung. Der bittersüße Saft verwirrt dir die Sinne. Der Boden schwankt wie bei einem Erdbeben. Bedrohlich senkt sich die Höhlendecke herab. Abgründe tun sich auf, in deren Schlünden Irrlichter aufleuchten, grünschimmelige Fäulnis, Unkenrufe, Eulenschrei und Wolfsgeheul.
    »Gott ist klein!« Feierlich hallten die Worte durch die Höhle. Welch schaurige Totenmesse war dieser Abschied von Estragon.
    Im Anschluss daran sagte Karras: »Rufus hat die rituelle Vermählung vollzogen. Das obliegt allein dem Abt. Dieser Größenwahnsinnige benimmt sich, als hätte er bereits die Nachfolge angetreten. Das muss unbedingt verhindert werden.«
    Ich fragte: »Wird denn die Nachfolge nicht von der Magna Mater bestimmt?« Die Selbstherrlichkeit der Skarabäen erfüllte mich mit Zorn. Sie schickten sich an, die Magna Mater zu entmachten. Wie anders war die Missachtung der höchsten Autorität unseres Ordens zu verstehen?
    »Nein, die Wahl der Nachfolge obliegt uns. Aber wir können erst einen Nachfolger wählen, wenn sein Vorgänger gestorben ist, und das kann noch lange dauern. Bis dahin wird Rufus alle Macht an sich gerissen haben. Er ist glatthäutig und schlau wie die
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