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Magna Mater - Roman

Magna Mater - Roman

Titel: Magna Mater - Roman
Autoren: C. Bertelsmann
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worden. Die männliche Sexualität erschien mir noch verworrener als zuvor.
    In der Nacht träumte ich von Karras. Er war jung, so jung, wie Merimé war, als ich sie liebte. Wir lagen am Strand. Er sagte: »Zwei Dinge im Leben sind wichtig: was man tut und mit wem.«
    Er wollte mich umarmen. Ich wehrte mich. »Wir haben die Liebe abgeschafft.«
    Er lachte und sagte: »Die Liebe zwischen Mann und Frau. Du aber bist ein Skarabäus. Und nur ein Mann kann Skarabäus sein. Die Liebe unter Männern ist legal.«
    Er griff nach mir. Ich schreckte aus dem Schlaf und sehnte mich nach ihm.

37. KAPITEL
    G egen Abend, wenn die Schatten länger werden, ertönte die Simantra, ein metallisches Gefäß, das mit dem Hammer angeschlagen wurde. Dann knieten die Männer in dem Palmenhain vor dem großen Tor nieder, berührten den Boden mit der Stirn und versanken in Stille.
    »Zu wem betet ihr da?«, hatte ich Karras gefragt, und er hatte erwidert: »Wir beten nicht, wir meditieren. Beten entsteht aus Selbstmitleid. Man betet, wenn man etwas will. Meditation bewirkt einen Wandel. Die innere Stille öffnet uns die Tür für das Unberechenbare. Was sich der klaren Rede entzieht, verlangt, dass wir schweigen. Das Entscheidende lässt sich nicht sagen. Es muss sich zeigen. Vollendete geistige Konzentration ist den meisten Menschen nicht möglich. Es bedarf langjähriger Übung. Wenn es gelingt, lässt es sich mit Sonnenstrahlen vergleichen, die gebündelt durch eine Linse fallen und unglaubliche Energie entfalten.
    Ich weiß, auch ihr Ordensfrauen meditiert, aber Meditation ist mehr als ein System von richtigem Atmen und von Kontrolle über den Leib. Der Geist muss aufhören zu schwatzen und abzuschweifen. Nur so wird die Empfänglichkeit gesteigert und außergewöhnlich fein.«
    Er sagte das so, als wäre er der Meinung, Frauen seien dafür wohl zu geschwätzig. Das ärgerte mich, aber schon bald suchte auch ich den Palmenhain auf, wenn die Simantra zur Meditation rief.
    Als ich Estragon fragte, ob es Einwände gegen meine Teilnahme gebe, sagte er: »Es wird dir guttun. Meditieren heißt Von-der-Zeit-unberührt-Sein. Pflanzen, Tiere und kleine Kinder erfahren die Welt so. Sie leben den Augenblick. Denken ist eine Fessel, weil es das Ergebnis von gestern ist. Es ist gefangen in den Netzen von Jahrhunderten. Meditation zerreißt den Schleier des Bekannten und setzt ungeahnte Energien frei. Das hat aber nichts mit Religion zu tun, denn die bewirkt Flucht aus der Wirklichkeit.«
    Auch ich lebte in jenen Tagen nur der Gegenwart. Arkadien nahm mich so ausschließlich gefangen, dass ich den Grund für meine Mission mehr und mehr verdrängte. Wie unwichtig erschien mir die Welt von gestern. Ich war nicht mehr die, die ich bei meiner Landung gewesen war. Es erging mir wie den Blühenden, die hierhergebracht wurden, um eine Schwelle zu überschreiten, von der es keine Rückkehr gibt.
    Vor allem Estragon übte auf mich eine geradezu faszinierende Wirkung aus. Die Gespräche mit ihm haben sich tief in mein Gedächtnis eingegraben.
    Er sah krank aus, als er mich spät am Abend rufen ließ. Es geschah zum ersten Mal, dass ich seinen privaten Wohnbereich betrat.
    Wände, Fußboden und Decke aus glatt poliertem Stein. Tisch und Stühle aus dunklem Kauriholz. Sie hatten sein Lager neben einem offenen Feuer aufgestellt. Rufus war bei ihm. Bei meinem Eintreten schob er dem Alten mehrere dicke Kissen unter die Schultern, um ihn aufzurichten.
    »Setz dich zu mir«, sagte Estragon. »Komm näher, noch näher.«
    Rufus servierte Tee und zog sich zurück.
    Estragon trank von dem Tee und meinte: »Meine Tage sind gezählt. Nicht die Mikroben trachten mir nach dem Leben; meine eigenen Zellen proben den Aufstand. Alles Leben existiert durch Ordnung. Fällt eine Körperzelle aus dieser Ordnung heraus und vermehrt sich so selbstständig, als wäre sie ein Einzeller, so nennen wir das Krebs. Sie will sich nicht länger unterordnen, sondern wie ihr ferner Ahn eigene Wege gehen.«
    Er fuhr sich mit der Hand über die Brust und meinte: »Bei der Schwindsucht wird man immer weniger. Meine Krebszellen aber wachsen, wuchern heran wie bei einer Schwangerschaft. Ich bin das Opfer einer Revolution, ausgelöst durch eine Zelle meines eigenen Leibes.«
    Als ich ungläubig den Kopf schüttelte, erklärte er mir:
    »Solch tödlichen Ungehorsam gibt es auch innerhalb einer Gesellschaft. Es ist unsere Pflicht, das zu verhindern. Dafür muss uns jedes Mittel recht sein, auch solche,
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