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Magna Mater - Roman

Magna Mater - Roman

Titel: Magna Mater - Roman
Autoren: C. Bertelsmann
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die gegen unsere Ordnung verstoßen, in der es heißt: Bewahren ist wichtiger als verändern. Bisweilen müssen gewisse Dinge verändert werden, damit alles so bleibt, wie es ist.«
    Er sagte das so, als wäre er gerade dabei, eine wichtige Veränderung vorzunehmen.
    Noch in derselben Nacht wurde ich zum Fledermausturm gebracht. In den angrenzenden Räumen waren die Skarabäen damit beschäftigt, weiße Tücher auszubreiten und in steinerne Becken dampfend heißes Wasser einzulassen. Ich erkannte Harun, Karras und Jakaranda, jetzt alle ganz in Weiß. Auch ich erhielt einen Kittel. Was hatte das zu bedeuten?
    Eine Heilgondel aus dem Turm schwebte herbei. Obwohl ich wusste, was sie verbarg, stieß ich einen Schrei aus, als das Korallinei sich wie von Geisterhand öffnete. Vor mir lag die Leiche einer toten Frau, nackt, mit aufgelöstem langem Haar. Sie erschien mir noch aufgedunsener als beim letzten Mal.
    »Was habt ihr mit ihr vor?« Die Frage blieb mir im Halse stecken. Sie war ja wohl auch überflüssig, denn offensichtlich war ich Zeuge einer Leichensektion. Nein, daran wollte ich nicht teilnehmen. Ich wandte mich angeekelt ab.
    »Halt. Bleib!«, sagte eine Stimme neben mir. »Wir brauchen deine Hilfe. Fass mit an.«
    Die Leiche wurde aus der Gondel gehoben. Und nun sah ich, dass sie hochschwanger war. Fruchtwasser quoll aus ihrem geöffneten Schoß. Die Geburt hatte bereits begonnen.
    »Eine Tote! Wie ist so etwas möglich?«
    »Sie ist nicht tot«, sagte Harun und tupfte der Frau den Schweiß von der Stirn. »Noch nicht.« Er winkte Jakaranda herbei. Zu zweit wollten sie die Gebärende in die Wanne heben.
    »Nicht doch!«, entfuhr es mir. Doch Harun belehrte mich: »Das warme Wasser wird ihr guttun.«
    »Und das Kind? Es wird ertrinken.«
    »Unsere Kinder werden wie die Delfine unter Wasser geboren.«
    Die Frau hatte die Beine weit gespreizt. Die Fußsohlen auf den Boden der Wanne aufgesetzt, stemmte sie uns ihren Bauch entgegen. Ich kniete mich nieder, um ihren Kopf über Wasser zu halten. Für einen Augenblick öffnete sie die Augen. Sie keuchte, als hätte sie einen anstrengenden Lauf hinter sich. Aber sie schien keinen Schmerz zu empfinden. Ein wehmütiges Lächeln lag auf ihren Lippen.
    Endlich zwängte sich der Kopf des Kindes hervor, langsam, viel zu langsam.
    »Es ertrinkt!«
    »Keine Angst. Die Nabelschnur versorgt es mit Sauerstoff.«
    Wir halfen dem Kind, das Leben zu gewinnen: ein langwieriger Kraftakt. Endlich konnte ich es aus dem Wasser heben. Es war ein Mädchen. Jakaranda nahm es mir aus dem Arm, denn schon glitt das nächste Korallinei herbei. Wieder wurde eine Wanne mit warmem Wasser gefüllt, und wieder wurde eine Gebärende hineingehoben, zwölfmal in dieser Nacht und noch viele in den darauf folgenden Tagen. Ich habe sie am Ende nicht mehr gezählt. Ich war so erschöpft, als hätte ich selber ein Kind geboren. Die Männer wechselten einander ab, ich aber ließ es mir nicht nehmen, bei allen Geburten dabei zu sein. Danach stürzte ich in einen tiefen Schlaf.
    Als ich nach zwei Tagen wieder zu mir kam, glaubte ich für einen Augenblick, das alles nur geträumt zu haben. Zu unwirklich erschien mir das Erlebte.
    Die Kinder! Ich wollte sie sehen. Aber sie waren bereits nach Urutawa gebracht worden.
    Hatte es sie wirklich gegeben? Ich war mir nicht sicher.
    Alles, was ich hier erzähle, wird verfälscht durch das, was ich nicht erzähle, nicht zu erzählen vermag. Es lässt sich nicht in Worte fassen.
    Aber danach war nichts mehr so wie vorher.
    »Warum tut ihr das?«, wollte ich von Estragon wissen. »Warum diese Lügen ohne Ende?« Ich war so erregt, dass meine Stimme vor Zorn bebte. »Das Geheimnis der Geheimnisse: ein Schwindel. Alles erfunden und falsch, Täuschung und Betrug.«
    Estragon bemühte sich, mich zu beruhigen, wollte mich in die Arme nehmen. Ich stieß ihn zurück: »Lügner. Ihr seid alle Lügner.«
    »Glaubst du allen Ernstes, dass sich eine so hoch komplizierte Apparatur wie die Brutstation von uns herstellen ließe? Die Menschen haben sich Götter erschaffen, aber niemals auch nur einen Wurm. Leben entsteht immer nur aus Leben. Es gibt kein Leben ohne Gebären. Ob es die Geburtsstation gibt oder nicht, ist völlig belanglos. Allein der Glaube an die Geburtsstation ist von Bedeutung.«
    Er strich sich über die blinden Augen und fuhr fort: »Um der Vernunft zum Sieg zu verhelfen, musste die Sexualität aus dem Leben der Menschen verbannt werden, Zeugung und Gebären sind
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