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Magna Mater - Roman

Magna Mater - Roman

Titel: Magna Mater - Roman
Autoren: C. Bertelsmann
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Geheimnis des Lebens. Das erfüllt mich mit Andacht. Und woran glaubt eine Ordensfrau wie du?«
    »Ich brauche keinen Glauben und war doch keinen einzigen Tag meines Lebens ohne den Glauben an mich selbst und den Orden. Ihr habt mir das Vertrauen in meinen Orden genommen, in dem die reine Vernunft regiert, wo der neue Mensch in Brutstationen heranwächst und im Tal der Schmetterlinge zur ewigen Ruhe gelegt wird, in dem …«
    »… in dem Ordensfrauen Kinder kriegen, die sie wie Kuckuckseier in fremden Nestern ablegen, nachdem sie die angestammte Brut umgebracht haben«, parierte er meinen Vorwurf.
    Ich schwieg, und Estragon sagte: »Der Mensch ist ein Blinder, der vom Sehen träumt. Der Traum aber steht dem Glauben näher als dem Wissen. Und so wie der Mensch träumen muss, so muss er auch an irgendetwas glauben.
    Es war unumgänglich, die Religionen abzuschaffen. Aber es muss etwas dagegengesetzt werden, eine neue Ethik von unbegreiflicher Allmacht. Der Mensch braucht das. Deshalb muss er aber nicht an irgendwelchen Unsinn glauben.
    Priester und Heilige bemühten sich, dem Körper wenig Beachtung zu schenken. Das Fleisch sei verderblich. Wichtig sei das ewige Leben jenseits der leiblichen Existenz. In Wahrheit sind wir bis zum Bersten angefüllt mit Göttlichem. Der Körper trägt Botschaften in sich, die der Verstand nicht wahrzunehmen vermag. Wir müssen ihm erlauben, beim Meditieren zu uns zu sprechen. Und wir müssen bereit sein, seine Botschaft zu empfangen. Wer sich in Büchern vergräbt, dessen wirkliches Wissen wird immer geringer, je mehr er studiert. Alle wirkliche Erkenntnis beruht auf Anschauung.
    Denn im Grunde unseres Herzens sind wir alle unheilbar religiös. Der Glaube ist die unbefriedigte Sehnsucht der Vernunft nach dem Fantastischen. Alle Menschen brauchen das.
    Aus diesem Grund wollen wir sie mit dem Kleinen Gott vertraut machen, nicht mit dem Glauben an ihn, sondern mit dem Wissen über ihn. Er benötigt keinen faulen Zauber. Die Natur ist fantastisch genug.«
    Die Sonne war jetzt vollends aufgegangen. Ihr Schein blendete mich, sodass ich mich abwandte und meine Augen mit der flachen Hand beschattete. Dabei fiel mein Blick auf Estragon. Er starrte wie gebannt in den gleißend hellen Feuerball. Die Glut spiegelte sich in seinen weit geöffneten blinden Augen, sodass ich Schmerz dabei empfand. Ein Lächeln lag auf seinen alten Lippen.
    Ich erinnerte mich daran, wie ich ihm einmal einen auf dem Meer erlebten Sonnenaufgang in leuchtenden Farben schildern wollte und er mich unterbrach: »Du brauchst mir die Sonne nicht zu beschreiben. Ich habe sie intensiver geschaut als ihr alle. Wenn du nicht ein Stück Himmel in dir trägst, wirst du ihn im ganzen Universum nicht finden.«
    Etwas später sagte er: »Wer durch eine offene Tür gehen will, sollte wissen, dass jede Tür einen festen Rahmen braucht. Es gibt da noch ein paar Dinge, die ich klären muss, bevor ich gehe. Mir bleibt nur wenig Zeit.«
    Er legte eine längere Atempause ein, in der ich ihn fragte: »Wer wird dich während deiner Abwesenheit vertreten?«
    »Karras soll die Erleuchtung zuteilwerden.«
    Erst später erfuhr ich die grauenhafte Bedeutung dieser Aussage. Der Erleuchtung teilhaftigwerden heißt: Offenen Auges das Licht der Sonne in sich einlassen bis zur Erblindung. Denn denken heißt mit kranken Augen sehen. Und nur der Blinde vermag die Dinge zu sehen, wie sie wirklich sind.
    Estragon legte seine faltige Hand auf die meine und sagte: »Alles Leben ist Abschied, ein Abschied nach dem anderen. Was man besitzt, hat man schon verloren. Nur wonach man sich sehnt, besitzt man wirklich.
    Jakaranda ist für Karras mehr als ein Sohn und Freund. Die beiden sind ein Liebespaar. Und dennoch muss ich sie trennen. Sie werden so leiden, wie du und Merimé habt leiden müssen.«
    »Was weißt du von Merimé?«
    »Ich habe eure Trennung veranlasst.«
    »Du? Wieso du? Was hat Merimé mit euch Skarabäen zu schaffen?«
    »Hast du dich nie gefragt, warum die Magna Mater eine Maske trägt? Warum sie nicht mit eigener Stimme spricht? Nein? Dann will ich es dir verraten: Sie ist eine von uns.«
    »Ein Mann? … Du meinst, die Magna Mater ist ein Mann? Nein!«
    »Doch.«
    »Wie kann das sein?«
    »Das muss so sein, weil es naturgewollt ist. Das war schon in den Höhlen der Eiszeit so. Der Mann führt. Euer Wissen kommt aus dem Bauch. Uns obliegt der Verstand aus dem unbeschnittenen Kopf. Das ist viel, aber wäre nicht genug ohne euch, vor allem ohne
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