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Männer und der ganz normale Wahnsinn

Männer und der ganz normale Wahnsinn

Titel: Männer und der ganz normale Wahnsinn
Autoren: Karen Templeton
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in Kontakt, bei Familienkrisen etwa, schließlich waren ihr Großvater und mein Großvater Brüder. Deswegen weiß ich auch, dass Nicky in der dritten Etage des Greenpoint-Hauses, das seine Großmutter ihm und seinem Bruder Frank vor ein paar Jahren hinterlassen hat, wohnt, und dass er zur Polizei gegangen ist. Was ich nicht wusste, ist, dass er für den 19. Distrikt zuständig ist. Und das ist meiner.
    Ich versuche, mich so richtig in Wut zu bringen, während ich beobachte, wie Nicky sich bückt, um das in Folie verpackte Was-auch-immer aufzuheben, wobei ich vermute, dass es sich um irgendwas Selbstgebackenes meiner Nachbarn Ted und Randall handelt. Es ist mit einer schwarzen Schleife zugebunden.
    Nicky richtet sich wieder auf und betrachtet einen Moment lang stirnrunzelnd die Schleife, bevor er mir das Päckchen reicht. Ich klemme die leere Flasche, die ich einfach nicht loslassen will, unter die Achsel, um es entgegenzunehmen. Ein tröstlicher Zitronenduft steigt mir in die Nase. Wow. Ted muss sofort, nachdem er die Hochzeit verlassen hat, in seine Küche gestürmt sein.
    „Hallo Ginger“, sagt Nicky mit seiner schroff-freundlichen Stimme, und meine Wut löst sich mit einem „Puff“ in Nichts auf, genauso wie meine Befürchtung, dass Körperteile meiner Mutter über die komplette siebenundfünfzigste Straße verstreut sein könnten. Ich meine, wieso sollte ich mich über etwas aufregen, das vor zehn Jahren geschehen ist, wenn ich gerade einen viel heftigeren Angriff auf meinen Stolz verarbeiten muss?
    Ich kneife die Augen zusammen. „Was willst du hier, Nicky?“
    Er stemmt die Arme in die Hüften – sind Ihnen schon mal die besonders interessanten Stellen aufgefallen, an denen die Jeans von Männern dazu neigen, auszubleichen? –, seine Augen brennen wie blaue Flammen, sein dichtes dunkelblondes Haar schimmert, seine Mundwinkel sind ein klein wenig nach unten gezogen, und ich frage mich, ob das nur an mir liegt oder ob die Situation tatsächlich merkwürdig ist? Dass ich hier in meinem Hochzeitskleid, das mein Gatte heute Nacht nicht von meinem Körper reißen wird, stehe, tröstlich warmes Gebäck von meinen schwulen Nachbarn umklammere, während ich mich in Erinnerungen an einen Quickie von vor zehn Jahren ergehe? Dass ich auf das kantige Kinn des Mannes starre, der vor zehn Jahren einen brandneuen, zwanzig Dollar teuren BH kaputt gemacht hat, was ich ihm offen gestanden wahrscheinlich auch heute noch erlauben würde? Zumindest für den Fall, dass ich gerade mal nicht der Meinung bin, dass alle Männer erschossen werden sollten.
    „Also“, sagt der Entjungferer, „das hier ist eher … inoffiziell. Ich bin sogar eigentlich nicht einmal im Dienst, aber …“ Er schneidet eine Grimasse. „Könnte ich vielleicht reinkommen?“
    Ich stolpere zur Seite und lasse ihn vorbei.
    Die abgestandene Luft im Apartment ist vom Ventilator ein Mal umgewälzt worden. Nicky scheint das aber nicht zu registrieren, wahrscheinlich ist er zu sehr damit beschäftigt, mein erschreckendes Aussehen mit dem zerzausten Haar zu verarbeiten, genauso wie mein leichtes Schwanken zu einer Musik, die offenbar nur ich hören kann. Er verschränkt die Arme vor der Brust und setzt einen beunruhigten Gesichtsausdruck auf, den er bestimmt abends vor dem Spiegel übt. Ich beschließe, dass wir beide so tun sollten, als ob vor zehn Jahren nichts geschehen wäre.
    „Tut mir wirklich Leid“, sagt er, „aber ich muss dich das fragen … wann hast du den Typ, den du heiraten wolltest, zum letzten Mal gesehen?“
    Ich umarme die Flasche, während sich Tränen in meinen Wimpern sammeln. Oh Gott nein. Ich will keine rührselige Betrunkene sein. „Do… Donnerstagabend.“
    „Bist du dir sicher?“
    „Ich bin b-betrunken“, antworte ich entrüstet, noch immer schwankend und noch immer die leere Flasche an meinen Bauch pressend. „Und nicht gehirnamputiert. Natürlich bin ich mir sicher.“
    Nicky entwindet die Flasche aus meiner Umarmung, als ob es sich um eine geladene Pistole handelt, und schaut sie böse an. „Himmel. Hast du die ganz alleine leer getrunken?“
    „Jeden verdammten T-Tropfen.“ Plötzlich neigt er sich zu mir, packt mich an den Schultern, dreht mich herum und dirigiert mich Richtung Sofa.
    „Setz dich“, sagt er, als wir angekommen sind.
    Darum hätte er mich nicht bitten müssen. Ich plumpse darauf wie ein Stein, das Kleid bauscht sich zu beiden Seiten in die Höhe. Am liebsten würde ich loskichern, was aber
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