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Männer und der ganz normale Wahnsinn

Männer und der ganz normale Wahnsinn

Titel: Männer und der ganz normale Wahnsinn
Autoren: Karen Templeton
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rülpse herzhaft, raffe so viel von meinem Rock zusammen, wie ich nur kann, und steure im Zickzackkurs in die Richtung, in der ich zuletzt die Tür gesehen habe. Ich bin doch tatsächlich so daneben, dass ich versuche, durchs Schlüsselloch zu blicken. „ Wer’s n’da?“
    „Ginger Petrocelli?“
    Gelegentlich nehme ich mir so wie jetzt die Zeit, mich darüber zu wundern, warum, um Himmels willen, meine Eltern mich Ginger genannt haben. Danach knalle ich mit meiner Stirn gegen die Tür und schiele durch den Spion, durch den ich ein vage bekanntes, ausgeprägtes Kinn sehe, blaue Augen und eine sehr männliche Hand mit sorgfältig manikürten Nägeln, die einen ziemlich offiziell aussehenden Dienstausweis in die Höhe hält. Der Typ nennt seinen eigenen Namen, glaube ich zumindest, doch ein Feuerwehrauto hat genau diesen Augenblick gewählt, um acht Stockwerke unter meinem Fenster die Sirene einzuschalten, deshalb verstehe ich kein Wort. Außerdem mache ich mir fast in die Hose, was, wenn man mal die Menge an Champagner bedenkt, katastrophal werden könnte.
    Also versuche ich, den Dienstausweis zu entziffern. Aber es gelingt mir nicht, den Blick entsprechend scharf zu stellen, um den Namen zu erkennen, geschweige denn das Gesicht dahinter. Es ist aber nicht zu übersehen, dass es etwas mit dem New York Police Department zu tun hat.
    Mein Magen krampft sich zusammen. Aber da ich immer das Gute im Leben sehe, tröstet mich der Gedanke, dass es sich hier zumindest nicht um den Besuch meiner Mutter handelt.
    Oh mein Gott. Meine Mutter.
    Vor meinem inneren Auge tauchen Bilder von einer zuknallenden Taxitür und ihrem Lion-King-Kleid auf, das dabei eingeklemmt wird, woraufhin sie zehn Blöcke weit durch Midtown geschleift wird, und das bewegt mich dazu, an dem ersten der drei Schlösser herumzufummeln …
    Mooooooment mal.
    „Wie soll ich wissen …“ Ich stütze mich mit einer Hand an der Wand ab. Als der Schwindel endlich abklingt, sage ich: „Woher soll ich wissen, dass Sie wirklich von der Polizei sind?“
    Als Antwort höre ich etwas, das wie ein sehr geduldiges Seufzen klingt. „Verdammt, Ginger … hast du mal durch den Spion geschaut? Ich bin’s, Nick Wojowodski. Mach auf.“
    Aufatmend entriegle ich die restlichen Schlösser und reiße die Tür auf. Eine Hand schießt nach vorne, um mich aufzufangen, als ich in den Flur und über etwas in Folie Eingepacktes stolpere. Mit einem Mal werde ich ins Jahr 1992 zurückgeschleudert. Der 16. Juni …
    „Heilige Scheiße“, rufe ich atemlos und starre gebannt in ein Paar blaue Augen von der Farbe des New Yorker Himmels an dem einen Tag im Oktober, an dem er tatsächlich blau ist.
    Nick versucht tapfer, meine Fahne zu ignorieren, während ich von Erinnerungen übermannt werde.
    Die Hochzeit von Paula, der Tochter der Cousine meines Vaters, mit Nickys älterem Bruder Frank. Ich war eine der zwölf Brautjungfern. Unsere Kleider waren scheußlich, und ich befand mich in ernsthaft rachsüchtiger Laune. Der gute alte Nicky hier war der Trauzeuge des Bräutigams. Und so sicher wie das Amen in der Kirche der tollste Mann, den ich bis zu diesem Zeitpunkt jemals gesehen hatte. Ich hatte gegen diese umwerfenden Blicke und den ganzen Champagner, den ich in mich hineingeschüttet hatte (an was erinnert uns das?), keine Chance, als beim Tanzen achtzig Kilogramm solide, unkomplizierte Männlichkeit mit einer ebenso soliden und unkomplizierten Erektion gegen meinen Körper gepresst wurden. Vor allem wenn man bedenkt, dass mein Freund … Jesus, wie war noch gleich sein Name? Egal, das habe ich jetzt vergessen, ich weiß nur noch, dass er mich wegen einer Walküre vom Hunter College mit ernsthaftem Hang zu Videospielen und einem noch ernsthafteren Hang zur Eigenverstümmelung verlassen hatte. Ich fühlte mich einsam und liebestoll und unattraktiv, und Nicky war gerne bereit, alles zu tun, um mein Selbstwertgefühl wieder aufzurichten. Ganz zu schweigen davon, dass er mich von meinem Jungfernhäutchen befreite, das an den Rändern allmählich sowieso schon langsam etwas ausfranste.
    Und das tat er in einem Abstellraum etwa zwanzig Schritte hinter dem Altar.
    „Ich ruf dich an“, sagte er danach. Was er nie tat.
    Paula habe ich seitdem nicht öfter als zwei oder drei Mal gesehen. Wir waren sowieso nicht sonderlich eng befreundet. Sie hatte mich nur gebeten, ihre Brautjungfer zu werden, damit sie ein volles Dutzend hatte. Außerdem wohnt sie in Brooklyn. Aber gelegentlich treten wir
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