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Lust auf Lust: Intime Geständnisse

Lust auf Lust: Intime Geständnisse

Titel: Lust auf Lust: Intime Geständnisse
Autoren: Renske de Greef , Matthias Müller
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befeuchtet. Aber beide sind wir wie plötzlich ans Tageslicht gezerrte Maulwürfe: Wir haben keine Ahnung, ob es stimmt, was wir zu sehen meinen. Und alle paar Minuten denke ich wieder: Wäre ich doch nur ein Affe. Dann könnte ich ihm einfach meinen Hintern zeigen.

Unerreichbar
    D ie Krümel meines Bierdeckels liegen allmählich auf dem ganzen Tisch verstreut. Ohne dass ich mir dessen bewusst bin, zerrupft meine rechte Hand mit minutiöser Motorik den Deckel. In meinem einen Ohr höre ich das ununterbrochene Gequatsche einer entfernten Bekannten. Eigentlich kann ich sie überhaupt nicht leiden. Sie ist nur mein Vorwand, um hier zu sitzen und was zu trinken, eine Art Deckmantel für die Außenwelt. Nicht mein wirklicher Grund.
    Mein wirklicher Grund hat ein verschmitztes Lachen und verträumte Augen. Mein wirklicher Grund steht hinter der Bar. Ungeschickt lauernd verfolge ich jede seiner Bewegungen.
    Er ist eine Hure. Er bedient jeden. Jeder wird von seinem süßen Lachen und seinem leidenschaftlichen Blick verwöhnt. Er ist still, bedächtig, undurchschaubar. Um ihn herum versuchen Frauen, seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und er gibt ihnen genau, was sie brauchen, damit sie sich wieder befriedigt zurücklehnen. Es juckt ihn überhaupt nicht. Er hat eine Teflonschicht. Alles gleitet von ihm ab. Seine Hände spielen lässig mit Flaschen, sein Blick ist nach innen gekehrt. Er ist schön. Er redet gerade mit einer Frau, die ihre Titten dabei üppig über den Tresen hängen lässt. Ich kann’s nicht mit ansehen.
    Schnell gehe ich zu ihm hin und bestelle stotternd ein Getränk. Ich nehme das nasse Glas Bier und schnipse den Deckel, der dran hängen bleibt, mit der anderen Hand ab. Dann blicke ich auf und schaue ihm direkt in die Augen. Ich liebe ihn. Und er erinnert sich wahrscheinlich schon nicht mehr an mich.
    Mein Barkeeper ist unerreichbar. Ganze Abende lang sitze ich auf meinem Stammplatz und betrachte ihn. Er ist meine Hoffnung und mein Heiland, mein Prinz auf dem Schimmel. Ich starre zu ihm hinüber und betrachte ihn. Abends male ich mir unser Leben aus und überlege mir Namen für unsere Kinder. Ich habe mir einen Haufen Szenarien zurechtgelegt für meinen großen Moment. Den Moment, der da heißt: Er Sieht Mich. Wir haben auch schon einmal miteinander geredet. Über Wechselgeld.
     
    Jeden Abend saß ich in meine Ecke gekauert. Manchmal mit einem menschlichen Blitzableiter neben mir, aber irgendwie hatte jeder auf einmal die Nase voll davon, neben einem dahinsiechenden, schwärmenden Blümchen zu sitzen. Dann saß ich alleine da. Ich traute mich nicht, mit ihm zu reden. Irgendwie blockte er ernsthafte Gespräche mit einer Körpersprache ab, die zwar nicht richtig zu erklären war, aber kein Missverständnis zuließ. Obsessiv zu ihm hinüberstarrend versuchte ich, mit jeder Faser meines Leibes herauszuschreien: Ich-hier-ich-hier! Verzweifelt zwang ich jeden meiner Gehirnströme, in seine Richtung zu fließen, mit subtilen Botschaften wie: Heirate mich, nimm mich mit, ich will ein Kind von dir! Ich war ein elendes Häufchen Mensch. Nach einiger Zeit sah ich schlecht aus, hatte die typischen Ringe unter den Augen und trug verzweifelte »Mir-ist-alles-egal«-Pullis. Mein Barkeeper bemerkte mich ja doch nicht.
    Und das Verrückte war: Auf eine merkwürdige Art genoss ich es sogar. Es war Leiden. Es war großes und mitreißendes Leiden. Es war viel interessanter als eine normale Situation. Eine normale Situation wird schnell banal, weil sie sich innerhalb gewisser Grenzen und Regeln abspielt. Die kann man fassen und daher beherrschen und kontrollieren. Das hier war unvorstellbar, unerreichbar. Aber ich dachte die ganze Zeit an ihn. Und das gab mir das Gefühl, dass ich mit etwas Allumfassendem beschäftigt war. Ich fühlte mich wie der junge Werther. Ich suhlte mich in meiner Trauer. Ich schwelgte in meinem Elend. Ich hegte und pflegte meine gequälte Trauer, mein abgewiesenes Herz, meine unbeantwortete Liebe. Ich erlaubte mir, nächtelang zu heulen und fand, dass die Ringe unter meinen geschwollenen Augen gut zu meinem Gemütszustand passten. Ich kam mir noch nicht einmal lächerlich vor, als ich heftig in mein Kissen boxte und dabei laut jammerte: Warum, warum?
    Aber meine romantischen, stürmischen Gefühle äußerten sich nicht nur in Trauer und Leiden. Ich konnte alles projizieren auf diesen Mann, den ich nicht kannte. Es war wie die mittelalterliche Minne, bei der man den Geliebten nur aus der Ferne
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