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Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)

Titel: Das Ende der Unschuld: Roman (German Edition)
Autoren: Megan Abbott
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    1.
    A us dem Augenwinkel: sie, lichtgestreift. Dieses Spiel, Mörder, allein der Name feuert schon eine Ladung Schrot auf die Nerven in meinem Magen, in meinem Darm, oder wo Nerven halt sind. Es ist spät, und wir sollten eigentlich nicht mehr draußen sein, aber das ist uns egal.
    Mit schrillen, überschnappenden Stimmen singen wir das tödliche Lied, das sich wie ein Messer im Ohr des ausgewählten Opfers umdreht. Ein Uhr, zwei Uhr, drei Uhr, vier Uhr, fünf Uhr  … Und es ist Evie, es hat sie erwischt, sie ist ausgezählt worden, und das wird ihr jetzt zum Verhängnis. Aber sie kann sich gut verstecken, die beste Versteckerin, die ich kenne, und ich rechne mit einem Geniestreich, ich rechne damit, sie zusammengerollt unter einer durchhängenden Veranda zu finden oder unter acht Zentimetern Erde in Moms Blumenbeet.
    Sechs Uhr, sieben Uhr, acht Uhr, neun Uhr, ein grausiges Todestrillern, das wir anstimmen, wir Monster, zehn Uhr, elf Uhr, zwölf Uhr, Mitternacht!MORD! schreien wir, mit grausamen, kranken Stimmen, und wir stieben wie Glühwürmchen in alle Richtungen auseinander. Ich liebe den Klang unserer Keds auf dem Asphalt, dem Gussbeton. Wir sind zu fünft, vielleicht zu zehnt, wir spielen, und die Straßenlampen versprechen Sicherheit, aber für wie lange?
    Oh, Evie, da sehe ich dich, zwanzig Meter vor mir, deine pfirsichfarbenen Frotteeshorts hüpfen, so schnell rennst du, und als du dich umdrehst, fliegt dir das dunkle Haar in den Mund, der ist offen, schreit, kreischt sogar. Es ist ein Spiel mit dem Horror, und dieses Ding, das in meiner Brust schlägt, ich kann es nicht aufhalten. Ich sehe dich, Evie, du bist kurz vor dem Kamin der Faheys, vor dem rettenden Mal. Oh, es ist das beste Spiel von allen, und Evie wird bestimmt gewinnen. Du kannst es schaffen, Evie, du kannst es schaffen. Mein Herz platzt, es platzt.
    Es war vor sehr langer Zeit, Jahrhunderten. Ein flimmerndes Trugbild vom Sommer einer Dreizehnjährigen, wie eine Million andere Mädchensommer, wenn Evie nicht gewesen wäre, wenn Evies hämmerndes Herz nicht gewesen wäre und all die verdrehten Dinge sich nicht entsponnen hätten.
    Da bin ich, bei den Ververs, mit spitzen Ellbogen und Sommersprossen, die Handballen aufgeschürft vom sandigen Spätsommerrasen. Ein jungenhaftes Mädchen, genau wie Evie und ganz anders als ihre Schwester Dusty mit ihren unglaublich bezaubernden siebzehn. Ein Filmstar in Neckholder-Tops und Lochstickerei und klackernden Dr. Scholls. Wimpern wie Goldfolie, Augen in der Farbe von Wassermelonenschale, sanfte Kurven. Immer mit glänzenden Lippen und leuchtend weißen Zähnen, ein Kussmund, aus dem kurz die Zunge aufblitzt, üppige Wimpern und eine leichte Rötung, die ihre Wangen noch höher wirken lässt.
    Wenn ich einen Moment allein war, linste ich gern in Dustys Zimmer, das erfüllt war vom wattigen Geruch nach Babypuder und Lipgloss und Haarspray. Ihr Bett war ein großer rosa Kuchen mit leicht angeschmuddelten Volants, und ihr Fußboden übersät mit Deckeln von Nagellackfläschchen und Plastikbürsten voller Haare, wie Pfeifenreiniger zusammengekringelter Unterwäsche mit Gänseblümchen drauf, auf links gezogenen Jeans, die pudrigen Socken noch darin, zusammengefalteten Botschaften von ihren Fans und glitzernden Tamponfolien, die sich in der Tagesdecke verfangen hatten, wo sie auf den mintgrünen Teppichboden fiel. Dusty schien immer und ewig mit Putzen beschäftigt zu sein, aber nicht einmal sie selbst kam gegen die ständigen Ausbrüche überschäumender Mädchenhaftigkeit an.
    Im Vergleich zu dieser ekstatischen rosa Zauberhaftigkeit waren Evie und ich die reinsten Würstchen, und wenn wir in Dustys zuckriges Allerheiligstes gelassen wurden, fühlten wir uns wie unerlaubte Eindringlinge.
    Evie so gut zu kennen, bis auf die Knochen zu kennen, bedeutete, ihre ganze Familie zu kennen, zu wissen, welche Bücher im Wohnzimmerregal standen ( Die Libelle, Das neue Kochbuch von Better Homes & Gardens, Weg in die Wildnis ), wie sich der Stuhl aus Bananenrattan im Esszimmer anfühlt und die Rosenmilchlotion auf Mrs. Ververs Frisiertisch duftet – am liebsten hätte ich mein Gesicht darin vergraben.
    Ich konnte mich an keine Zeit erinnern, in der ich nicht die mit Teppich belegten Stufen in ihrem Haus hinuntergejagt, um den Esszimmertisch gerannt und auf dem Ehebett der Ververs herumgesprungen war.
    Und es gab immer etwas Neues zu erfahren. Geheimnisse, so aufregend, dass man sie nur unter ersticktem
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