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Lumpenloretta

Lumpenloretta

Titel: Lumpenloretta
Autoren: Christine Nöstlinger
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Regal gestellt, ist zur Haustür raus und dicht an der Hausmauer, damit man ihn vom Wohnzimmer aus nicht sehen kann, um das Haus herum, in den Garten. Durch die Ribiselstauden am Zaun hat er in den Nachbargarten gelinst. Ein leerer Buggy ist auf dem brennnesseldurchwachsenen Rasen gestanden, aus zwei Fenstern im Haus sind weiße Gardinen geflattert, und „I’m so sad and lonely, I could cry ...“ ist unter den flatternden Gardinen rausgewummert.
    Dann hat es wieder ordentlich zu regnen angefangen. Glatze hat gerade ins Haus zurückgehen wollen, da ist aus einem ebenerdigen Fenster vom 19er-Haus die Loretta in den Garten gesprungen. Sie hat sich zinnsoldatenstramm zwischen den kleinen Birnbaum und den noch kleineren Zwetschkenbaum gestellt, das Gesicht zum Himmel gerichtet, die Augen zugemacht, die Zunge rausgestreckt und mit ihr die Regentropfen aufgefangen. Als ob sie am Verdursten wäre. Bloß einen Slip und ein Unterhemd mit einem abgerissenen Träger hat sie angehabt. Das Unterhemd und der Slip waren im Nu von Regentropfen gepunktet. Glatze hat sich gesagt, dass die Fußsohlen der Loretta vom dauernden Barfußgehen so viel harte Haut draufhaben müssen, dass sie ohne zu jammern mitten in den Brennnesseln stehen kann.
    Glatze hat überlegt, ob er etwas zur Loretta rüberrufen soll. Ist ihm aber nicht eingefallen, was er rufen könnte, ohne dass es sich saublöd anhört. So ist er von den Ribiselstauden weg, hat sich in die Mitte des Gartens gestellt und wie die Loretta das Gesicht zum Himmel gestreckt, die Augen geschlossen und mit der Zunge die Regentropfen aufgefangen. Komisch ist er sich dabei schon vorgekommen, aber irgendwie hat er es auch lustig gefunden. Und goldrichtig ist es sowieso gewesen, weil nach ein paar Minuten die Loretta zu den Ribiseln gekommen ist und gefragt hat: „Du säufst auch gern Regen?“
    So hat er sich erspart, den Anfang vom Miteinanderreden zu machen. Und „Ja, immer, wenn es regnet!“ zu antworten, damit hat er kein Problem gehabt. Er hat noch dranfügen wollen, dass er es schön finden würde, wenn er das ab jetzt immer zu zweit machen könnte, doch bevor er es rausgebracht hat, ist seine Mutter wie der geölte Kugelblitz um die Hausecke herum und auf ihn zu, hat „Willst du dir eine Lungenentzündung einfangen?“ gekeift und ihn ins Haus rein, ins Badezimmer geschubst. Sie hat ihm erklärt, dass nur ein heißes Bad die Erkältung, die er sich im Regen garantiert geholt hat, „im Keime ersticken kann“.
    Normalerweise hätte sich Glatze das nicht gefallen lassen und hätte Reißaus genommen; was ihm auf alle Fälle gelungen wäre, denn seine Mutter ist nicht so mastochsenstark wie sein Vater, die kann Glatze schon lange nicht mehr festhalten, wenn er dagegen ist. Jedes Mal, wenn sie es versucht hat, hat er sich losgerissen und ist aus dem Haus gejappelt und zu Locke, Zecke oder Zahn geflüchtet. Aber diesmal ist er, wegen der Loretta, in einer so merkwürdigen Stimmung gewesen, dass er sich den Unfug ohne Gegenwehr gefallen lassen hat. Außerdem hätte er auch nicht zu Locke, Zecke oder Zahn flüchten können, denn keiner von den dreien ist daheim gewesen. Locke ist für ein paar Tage bei einer Tante in Salzburg gewesen, Zecke und Zahn sind mit dem Alpenverein im Gebirge herumgekraxelt. Weil sie Kletter-Freaks sind und später einmal den Nanga Parbat besteigen wollen, was Glatze überhaupt nicht will. Der findet Sport viel zu mühsam.
    Nach dem heißen Bad hat Glatze, in ein Badetuch gewickelt, noch eine Tasse grauslichen Hollerblütentee trinken müssen. Erst wenn die Tasse leer ist, hat seine Mutter erklärt, darf er sich wieder anziehen. Die Glatze-Mutter hat es mit der Angst vor Krankheiten! Bei jedem Huster, den Glatze macht, befürchtet sie eine fiebrige Bronchitis, geht er öfter als sonst aufs Klo, vermutet sie, je nachdem, was er dort tut, dass er eine Darmgrippe bekommt oder eine Blasenentzündung. Glatze hat den brennheißen Tee so schnell geschluckt, dass er sich fast die Zunge verbrannt hat. Dann ist er in sein Zimmer rauf, hat sich trockene Klamotten angezogen und aus dem Fenster geschaut, um zu sehen, ob es noch regnet. Er hat gefunden, dass bloß noch die Luft ein bisschen feucht ist. So ist er die Treppe runter und hat zur Haustür raus wollen. Doch seine Mutter hat sich vor die Tür gestellt.
    „Du gehst mir nicht ohne Regenjacke und Kappe raus!“, hat sie gesagt und ihm beide Teile hingehalten.
    Glatze hat sich an ihr vorbeigedrängt und ist auch
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