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Lumpenloretta

Lumpenloretta

Titel: Lumpenloretta
Autoren: Christine Nöstlinger
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einfach an der Haustür von fremden Leuten zu klingeln und zu fragen, ob er reinkommen darf. Da braucht einer wie Glatze eben ein bisschen Zeit, um sich zu überlegen, was er am besten sagen soll, wenn die Tür aufgemacht wird.
    Glatze hat fest damit gerechnet, dass sich seine Mutter gewaltig aufregen wird, weil er zum Postreinholen mehr als zwei Stunden gebraucht hat. Aber seiner Mutter ist die Post blunzenwurscht gewesen. Sie hat auch nicht bemerkt, dass Glatzes Klamotten ziemlich nass sind. Normalerweise zetert sie in so einem Fall los, dass er sich sofort umziehen muss, damit er keine Lungenentzündung und keinen Blasenkatarrh bekommt. Die Glatze-Mutter hat die nassen Klamotten gar nicht bemerkt, weil sie kreischaufgeregt mit dem Glatze-Vater telefoniert hat, der noch in der Stadt drinnen, in seinem Büro gesessen ist und Überstunden gemacht hat.
    Wie Glatze in die Küche gekommen ist, hat sie gerade ins Telefon reingefragt, ob sie sich jetzt oder erst in einer halben Stunde über die unzumutbare Lautstärke und den verstellten Gehsteig beschweren soll. Der Glatze-Vater ist anscheinend für „zuwarten“ gewesen. So hat sie seufzend den Hörer aufgelegt und Glatze mitgeteilt, dass sie in den nächsten Minuten garantiert einen schweren Migräne-Anfall bekommen wird. „Ärger hätte es gar nicht kommen können“, hat sie gejammert. „Dieser Pöbel ist wirklich das Letzte vom Allerletzten! Die reduzieren uns unsere Lebensqualität auf null!“
    Bevor sich Glatze fertig überlegt hatte, ob er darauf etwas antworten soll, hat es an der Haustür geklingelt – was wegen der lauten Musik fast nicht zu hören gewesen ist –, und die Locke-Mutter, die Nachbarin zur anderen Seite vom ehemaligen Berger-Haus, ist gekommen und hat mit seiner Mutter im Duett gejammert.
    Weil die beiden beim Wohnzimmerfenster, von wo man den Gehsteig samt Vorgarten vom Nachbarhaus überblickt, Position bezogen haben, hat Glatze den Antrittsbesuch bei der Loretta auf später verschoben. Er hat nicht wollen, dass ihn seine Mutter ins Nachbarhaus gehen sieht. Einen Vortrag über den „richtigen Umgang“ hätte er sich hinterher garantiert anhören müssen. Seine Mutter hat schon allerhand dagegen gehabt, dass er dauernd mit Zecke und Zahn herumzieht. Weil die zwei angeblich nur Unfug im Kopf haben. Den Maximilian, den Klassenstreber, hat sie ihm immer als Freund aufschwatzen wollen. Dabei wohnt der nicht mal in der Siedlung, und außerdem kann er Glatze so wenig leiden wie Glatze ihn. Aber die Glatze-Mutter hat es nicht nur mit dem „richtigen Umgang“, sondern auch mit dem „guten Einfluss“. Der Maximilian, hat sie behauptet, hätte diesen guten Einfluss auf ihren Sohn. Sie ist nämlich mit der Maximilian-Mutter befreundet, und wenn sie die besucht, plaudert der Maximilian immer so nett mit ihr und hat so grundvernünftige Ansichten, fast wie ein Erwachsener! Und wenn Glatze mit ihm Mathe lernen würde, könnte er sein Befriedigend auf ein Gut verbessern. Und ordentliche Manieren könnte er sich auch abschauen!
    Glatze hat sich ein Heidelbeer-Jogurt aus dem Kühlschrank geholt, hat sich auf den Esstisch gesetzt, hat drauflosgelöffelt und den beiden Mamas beim Jammern zugehört, wobei seine Klamotten aufgetrocknet sind. Dass die zwei Etepetete-Tanten sind, ist ihm klar gewesen, aber dass sie wegen ein bisschen lauter Musik und allerhand Gerümpel vor dem Haus so ein Affentheater aufführen, hat er nicht gepackt. Und weil durch das offene Wohnzimmerfenster gerade „Married by the bible but divorced by the law ...“ reingeschallt ist, hat er zu seiner Mutter, um sie zu beruhigen, gesagt: „Das ist doch der Johnny Cash, den spielt unser Opa auch immer. Und du hast gesagt, dass du den sehr gern hörst!“

    „Aber nicht in dieser irren Lautstärke, und nur, wenn ich es will!“, hat seine Mutter gefaucht. Dann hat sie zur Locke-Mutter gesagt: „Dieser Pöbel kann doch nie im Leben genug Geld haben, um sich ein Haus in unserer Siedlung zu kaufen. Sicher haben sie es nur gemietet.“
    Die Locke-Mutter hat drauf gesagt: „Wer weiß! Vielleicht haben sie einen Lotto-Sechser gemacht. Angeblich gewinnt da ja immer der Pöbel!“
    Glatze ist vom Tisch gerutscht, hat den leeren Jogurt-Becher in den Mülleimer geworfen, ist ins Arbeitszimmer seines Vaters gegangen, hat den Duden aus dem Regal geholt und nachgeschaut, was „Pöbel“ heißt. PACK, GESINDEL, ist im Wörterbuch hinter „Pöbel“ gestanden.
    Glatze hat den Duden zurück ins
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