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Lumpenloretta

Lumpenloretta

Titel: Lumpenloretta
Autoren: Christine Nöstlinger
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Aufsteiger“ Menschen sind, die „etwas Besseres“ sein wollen als ihre Eltern, und von ihren Kindern erwarten sie, dass die „etwas Besseres“ werden als sie selber. Und ohne Matura kriegt man das nur sehr schwer hin, da kann man zwar unter Umständen stinkreich werden, aber kaum „etwas Besseres“. Ob man aber einem Kerl glauben soll, der schon dreizehn Jahre vergeblich an seiner Matura bastelt, musst du selber entscheiden.
    Falls es dich interessiert:
    Zahn heißt deswegen Zahn, weil seine oberen Einser perfekt ins Kiefer eines Rübezahl-Riesen passen würden und unten so ausgezackt sind wie ein Sägemesser.
    Locke haben ihre goldfischfarbenen Wuschelhaare den Spitznamen eingetragen, die echt und ehrlich nicht gefärbt sind; das behaupten in ihrer Klasse bloß ein paar neidische Schnepfen.
    Zecke ist vor drei Jahren von einer Zecke mit Gehirnhautentzündung infiziert worden und hat ein halbes Jahr gebraucht, bis er wieder ordentlich laufen hat können.
    Und Glatze rasiert sich seinen Schädel jeden Samstagnachmittag ratzekahl. Weil er ein sausturer Bock ist! Vor zwei Jahren hat er sich, wahrscheinlich in der Schule, eine Kolonie Kopfläuse samt Nissen eingefangen, und seine Mutter hat deswegen einen hysterischen Kreischanfall bekommen und hat von seinem Vater verlangt, dass er seinem Sohn die verlausten Haare total abrasiert, weil eine Glatze wesentlich leichter zu entlausen ist als ein stark behaarter Schädel. Glatze hat wildwütend protestiert, aber sein Vater hat eine Mastochsenstatur, gegen den ist er nicht aufgekommen. Soviel er auch gebrüllt und getreten und gespuckt hat, sein Vater hat ihn in den Schwitzkasten genommen, und mit dem Rasierapparat in der Hand vom anderen Arm hat er sich über Glatzes verlausten Schädel hergemacht. Glatze hat zwei Wochen lang um seine schulterlange, rabenschwarze Lockenpracht getrauert, dann hat er beschlossen, lebenslang glatzig zu bleiben.
    „Das mache ich meinen Eltern zu Fleiß“, hat er Zecke, Zahn und Locke erklärt. Wieso er damit seinen Eltern etwas zu Fleiß macht, hat niemand so wirklich kapiert. Aber es hat auch niemand nachgefragt, weil das bringt nichts bei ihm. Er ist keiner, der sich ausfragen lässt. Mehr als ein „So eben!“ hättest du ihm doch nicht rausgelockt.

ANGEFANGEN HAT IM GRUNDE ALLES damit, dass die alte Frau Berger und der noch ältere Herr Berger, die im Nachbarhaus von Glatze, auf Hausnummer 19, gewohnt haben, in ein Senioren-Heim übersiedelt sind. Weil der Herr Berger schon seit langer Zeit im Rollstuhl gesessen ist und die Frau Berger es nicht mehr geschafft hat, ihn zu versorgen und auszuhalten. Er ist nämlich auch im Kopf total meschugge worden und hat geglaubt, dass sie ihn abmurksen will und er sich gegen sie mit dem großen Fleischmesser verteidigen muss. Aber das Senioren-Heim hat den beiden nicht wirklich gutgetan. Im Frühling drauf waren sie tot. Und alle in der Siedlung haben darüber gerätselt, wer nun das Berger-Haus erben wird. Kinder haben die beiden keine gehabt, von Freunden oder Bekannten, die Erbschleicher hätten sein können, sind sie auch nie besucht worden. Und alle Verwandten, von denen sie den Nachbarn irgendwann einmal erzählt hatten, waren längst tot.
    Die Glatze-Mutter hat zur Locke-Mutter oft gesagt: „Hoffentlich hat das Haus jemand geerbt, der zu uns herpasst!“
    Und die Locke-Mutter, die auf der anderen Seite vom 19er-Haus wohnt, hat vermutet: „Also, wie ich diese zwei schrulligen Zausel einschätze, haben sie ihr Haus garantiert der Caritas oder der Kirche vermacht, damit sie in den Himmel kommen!“
    Und drauf hat die Glatze-Mutter gejammert: „Da sei Gott im Himmel vor, sonst macht die Caritas glatt noch ein Obdachlosen-Wohnheim daraus oder ein Asylanten-Quartier!“
    Aber die Locke-Mutter hat behauptet: „Das wagt die Caritas nicht, die will keinen Unfrieden in eine gutbürgerliche Wohngegend tragen. Die verkauft das Haus sicher, falls sie es geerbt haben sollte!“
    Gegen Ende der Sommerferien dann, an einem Donnerstag, am frühen Nachmittag, hat vor dem 19er-Haus ein echtes Wahnsinnsgefährt eingeparkt. Ein uralter schlammgrau-senfgelb-kackebraun gefleckter Autobus, militärisch tarnfarben für Wüstengegenden. So einer mit Teddybärschnauze und dickem Hinterteil. Unter den Seitenfenstern ist auf beiden Seiten mit großen, ziemlich krummen Blockbuchstaben in allen Regenbogenfarben aufgepinselt gewesen: PATSYS ALTWAREN-PARADIES. Und eine Mobil-Telefonnummer dahinter.
    Glatze ist
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