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Lumpenloretta

Lumpenloretta

Titel: Lumpenloretta
Autoren: Christine Nöstlinger
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gerade beim Tor vom Vorgartenzaun gestanden, weil ihn seine Mutter zum Briefkasten um die Post geschickt hatte. Klarerweise ist er mit den zwei Briefen und dem Post-wurf-Kram nicht ins Haus zurück, sondern hat sich an den Zaun gelehnt und getan, als ob er die knalligen Angebote in den Werbeprospekten studieren würde. Wer aus dem Autobus aussteigt, hat er sehen wollen, und lange warten hat er nicht müssen. Zuerst ist eine Frau ausgestiegen. Eine im Mama-Alter, sehr klein und ein bisschen pummelig, Haare knallrot, streichholzkurz. Reingezwängt in eine hellblaue Lederjacke mit jeder Menge Lederfransen und silberner Nieten an allen erdenklichen Nähten, einer hellblauen Jeans mit absichtlich ausgefransten Löchern, die ihr leicht um drei Nummern zu eng gewesen ist, und Cowboystiefeln aus hellblauem Schlangenleder mit schief getretenen Absätzen.
    Dann ist ein Mann im Papa-Alter aus dem Bus gesprungen. Lang und dünn. Ebenfalls in Fransenlederjacke, Jeans und Schlangenleder-Cowboystiefeln. Aber alles in dunkelgrau und ohne absichtliche Löcher. Speziell witzig hat Glatze dem seine Frisur gefunden. Kahlkopf mit Zopf! Oben glänzende, sonnenbraune Platte, und die spärlichen blonden Federn vom Haarkranz rundherum zu einem langen, dünnen Zopf geflochten, der unten mit einem Gummiringerl zusammengehalten wird. Bis zur Taille ist der Zopf gebaumelt. Der Kahlkopf mit Zopf hat einen Schlüssel aus der Hosentasche geholt, die Vorgartentür von Nummer 19 aufgemacht und ist zur Haustür. Die Pummelfrau hinter ihm her. Er hat die Haustür aufgesperrt und ist ins Haus rein. Die Pummelfrau wieder hinter ihm her.
    Glatze hat sich vom Anblick der zwei Typen noch nicht wirklich erholt gehabt, da ist ein Mädchen aus dem Bus geklettert. Wenn du mich fragst, ein recht durchschnittliches Girl. Mittelgroß, dünn, Storchenbeine mit Kamelknien, braune Schnittlauchhaare bis zu den Schultern, sehr kleine Nase, riesige Augen, abstehende Flügelohren und ein viel zu langer Hals. Nur klamottenmäßig absolut nicht durchschnittlich, sondern noch irrer als die zwei Cowboy-Imitate. Von oben nach unten gesehen: weiß-grau-braun geflecktes, räudiges Hasenfelljackerl bis knapp über die Taille, lappiger, wadenlanger, gardinendurchsichtiger Rock und keine Strümpfe und keine Schuhe an den Füßen. Nichts gegen barfuß gehen und Hasenfell! Aber es war ein ziemlich kühler Sommertag ohne Sonne, mit viel Wind und zwischendurch Nieselregen, also wirklich kein Barfußtag, aber noch lange kein Pelzjackerltag.
    Niemand kann sich aussuchen, in wen er sich verknallt. So etwas passiert dir einfach, ob du willst oder nicht. Glatze hat sicher nicht gewollt. Mit Liebe hat er nie etwas am Hut gehabt. Der hat doch nicht einmal bemerkt, dass Locke seit dem Kindergarten unsterblich in ihn verliebt ist, und wenn ihm das Zecke oder Zahn gesagt haben, hat er grantig geknurrt: „Pflanzt gefälligst einen anderen!“
    Aber trotzdem knallt es irre in ihm, wie er das komische Girl sieht! Ob im Hirn, im Bauch oder in der Brust, das kannst du dir aussuchen. Wie der totale Volltrottel steht er da und starrt. Bringt es nicht einmal fertig, „Guten Tag!“ oder etwas in der Preislage zu sagen.
    Das komische Girl hüpft zu Glatze hin und teilt ihm mit, dass sie Loretta heißt und nebenan wohnen wird, und Glatze bringt noch immer kein Wort raus, bloß wie der Blöde nickt er. Und dann fällt ihm glatt noch der Postkram aus den Händen und platscht zu Boden. Er bückt sich, um ihn aufzusammeln, die Loretta will ihm dabei helfen und – päng! – knallen ihre Köpfe zusammen.
    „Du hast aber einen harten Schädel“, sagt die Loretta, richtet sich wieder auf und reibt sich die Stirn.
    „Sorry!“, sagt Glatze und ist glücklich, wieder bei Stimme zu sein. Er will sagen, dass er Konrad heißt, weil er selber nennt sich ja nicht Glatze, doch da brüllt es kreischlaut aus dem tarnfarbenen Bus.
    Die Loretta sagt: „Unser Hank ist munter geworden“, drückt Glatze die Zettel, die sie aufgehoben hat, in die Hände, rennt zum Bus und klettert rein. Kaum ist sie drin, hört das Gebrüll auf, und gleich drauf steigt sie mit einem Sabberbaby in den Armen aus dem Bus, ruft Glatze zu, dass das Baby ihr kleiner Bruder ist, und geht durch den Vorgarten vom Nachbarhaus der offenen Haustür zu.
    Glatze hat gewartet, bis die Loretta im 19er-Haus ist, dann hat er die ganze Post in den Briefkasten zurückgestopft und ist langsam die Straße rauf. Nach dem letzten Haus ist er noch ein Stück
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