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Der nasse Fisch

Der nasse Fisch

Titel: Der nasse Fisch
Autoren: Volker Kutscher
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    W ann würden sie zurückkommen? Er lauschte. In der Dunkel heit geriet jedes kleinste Geräusch zu einem Höllenlärm, jedes Flüstern
     wuchs zu einem Brüllen heran, die Stille selbst lärmte in seinen Ohren. Ein immer währendes Dröhnen und Rauschen. Der Schmerz
     machte ihn halb wahnsinnig, er musste sich zusammenreißen. Das Geräusch der Tropfen nicht beachten, so laut es auch war. Tropfen,
     die auf einen harten, feuchten Boden fielen. Er wusste, dass es sein eigenes Blut war, das da auf den Beton tropfte.
    Er hatte keine Ahnung, wohin sie ihn verschleppt hatten. Irgendwohin, wo ihn niemand hörte. Seine Schreie hatten sie nicht
     aus der Ruhe gebracht, die hatten sie eingeplant. Ein Keller, vermutete er. Oder eine Lagerhalle? Jedenfalls ein fensterloser
     Raum. Hier hinein drang kein Lichtstrahl, nur ein leises Schimmern. Der letzte Rest von Helligkeit, der ihm noch geblieben
     war, seit er auf der Brücke gestanden und den Lichtern eines Zuges hinterhergeschaut hatte, versunken in Gedanken. Gedanken
     an den Plan, Gedanken an sie. Dann der Schlag und der Sturz in die Dunkelheit. In eine Dunkelheit, die ihn seitdem nicht mehr
     verlassen hatte.
    Er zitterte. Nur die Seile in den Armbeugen hielten ihn aufrecht. Seine Füße trugen ihn nicht, sie waren nicht mehr, sie waren
     nur noch Schmerz, ebenso seine Hände, die nichts mehr halten konnten. Er legte seine ganze Kraft in die Arme und vermied es,
     den Boden zu berühren. Das Seil scheuerte, er schwitzte am ganzen Körper.
    Die Bilder kamen immer wieder, er konnte sie nicht verdrängen. Der schwere Hammer. Seine Hand, festgebunden an diesem Stahlträger. Das Geräusch der splitternden Knochen. Seiner Knochen. Der unerträgliche Schmerz. Schreie, die zu einem einzigen großen
     Schrei zusammenwuchsen. Die Ohnmacht. Und dann das Erwachen aus der dunklen Nacht: Schmerzen, die an den äußersten Enden des
     Körpers zerrten. Aber zu seiner Mitte waren sie nicht vorgedrungen, davon hatte er sie ferngehalten.
    Sie hatten ihn mit Drogen gelockt, die linderten den Schmerz. So wollten sie ihn gefügig machen, er musste gegen seine Schwäche
     kämpfen. Auch die vertraute Sprache hätte ihn fast weich gemacht. Doch die Stimmen klangen härter als die in seiner Erinnerung.
     Viel härter. Kälter. Böser.
    Swetlanas Stimme hatte dieselbe Sprache gesprochen, aber wie anders hatte sie geklungen! Ihre Stimme hatte Liebe geschworen
     und Geheimnisse offenbart, ihre Stimme war Vertrautheit gewesen und Verheißung. Ja, sie hatte sogar die helle Stadt wieder
     lebendig werden lassen. Die Stadt, die er verlassen hatte. Nie hatte er sie vergessen können, auch in der Fremde nicht. Es
     blieb seine Stadt, eine Stadt, die eine bessere Zukunft verdient hatte. Sein Land, das eine bessere Zukunft verdient hatte.
    Hatte sie nicht dasselbe gewollt? Die Verbrecher verjagen, die dort die Macht an sich gerissen hatten. Er musste an die Nacht
     denken, die durchwachte Nacht in ihrem Bett, eine warme Sommernacht, die ihm vorkam, als läge sie eine Ewigkeit zurück. Swetlana.
     Sie hatten sich geliebt und sich ihre Geheimnisse anvertraut. Und sie zu einem einzigen großen Geheimnis zusammengefügt, um
     ihren Hoffnungen ein Stück näher zu kommen.
    Alles war so gut gelaufen. Doch irgendwer musste sie verraten haben. Sie hatten ihn verschleppt. Und Swetlana? Wenn er bloß
     wüsste, was aus ihr geworden war. Die Feinde waren überall.
    Sie hatten ihn an diesen dunklen Ort gebracht. Ihre Fragen hatte er schon gekannt, bevor sie ausgesprochen wurden. Er hatte
     geantwortet, aber nichts gesagt. Und sie hatten es nicht einmal gemerkt. Sie waren dumm. Die Gier machte sie blind. Der Zug
     war bereits auf dem Weg, das durften sie nicht erfahren. Unter keinen Umständen, der Plan stand kurz vor der Vollendung. Er
     hatte inihre Augen gesehen, bevor sie zuschlugen, und dort hatte er die Gier gesehen und die Dummheit.
    Der erste Schlag war der schlimmste. Alles, was danach kam, verteilte den Schmerz nur.
    Die Gewissheit, sterben zu müssen, hatte ihn stark gemacht. So konnte er es ertragen, nie wieder gehen, nie wieder schreiben,
     sie nie wieder berühren zu können. Sie war nur noch Erinnerung, damit musste er sich abfinden. Aber auch diese Erinnerung
     würde er nie verraten.
    Die Jacke. Er musste an seine Jacke kommen. Beinah unmöglich. Er hatte eine Kapsel dabei. So wie sie alle, sobald sie ein
     Geheimnis trugen, das nicht in die Hände des Feindes geraten durfte. Er hatte zu
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