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Luegen auf Albanisch

Luegen auf Albanisch

Titel: Luegen auf Albanisch
Autoren: Francine Prosse
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Rande ihres Bewusstseins drang das Geräusch einer Katze durch, die an einem Haarknäuel würgte. Zeke weinte. Eiskalte Tränen rannen über seine kalkweißen Wangen.
    »Alles ist scheiße«, sagte er. »Mom ist verrückt geworden. Jetzt haust du ab. Und ich glaube, dass ich schwul bin.«
    »Das wird schon«, sagte Lula. »Versprochen.«
    »Manchmal wäre ich gern ein Vampir«, sagte Zeke.
    »Warum würdest du dir das wünschen?«, fragte Lula.
    »Weil man dann nicht leben und nicht sterben muss. Das ist leicht.«
    »Nicht für einen Vampir«, sagte Lula.
    »Vermutlich nicht«, sagte Zeke.
    Lula nahm ihn in die Arme. Ein Fremder hätte sie im Vorbeifahren für ein Teenager-Liebespärchen halten können. Lula versuchte, konzentrierte Strahlen der Freundschaft und Beruhigung direkt aus ihrem Gehirn in Zekes zu beamen, und allmählich spürte sie einen Schwall Wärme in ihre Richtung zurückfließen, also schien es zu funktionieren.
    Sie sagte: »Versuchen wir’s bei Shopwell. Ich weiß, dass es weiter ist, aber die Fahrt würde Spaß machen.«
    Zeke schaute sie an. »Das ist zu weit.«
    »Keine Bange«, sagte Lula. »Niemand wird es deinem Dad erzählen.«
    »Das weiß ich«, sagte Zeke. Er schenkte ihr sein starres, falsches Lächeln, und während Lula noch hinschaute, löste es sich ganz langsam auf und verwandelte sich in ein echtes.
    Lula legte den Kopf an Zekes Schulter, als er auf die Straße bog. Und so fuhren sie dann, ohne zu reden, den ganzen Weg zum Supermarkt und zurück nach Hause.
    Eines zumindest hätte Lula in ihrer Zeit bei Mister Stanley lernen können: Wie töricht es war, das eigene Leben mit dem Leben anderer zu vergleichen, so wie man es sich aufgrund ihrer Behausungen vorstellte. Wenn sie früher an Häusern wie dem von Mister Stanley vorbeigekommen war, hatte sie deren Bewohner vielleicht um ihr amerikanische Glück beneidet, einschließlich all der Annehmlichkeiten ihres amerikanischen Lebens. Inzwischen wusste sie es besser. Aber sie empfand es immer noch als geistige Herausforderung, nicht im Neid zu versinken, der wie Treibsand zwischen den Koffern lag, in die sie ihre Habe packte, und der Wohnung voll mit Designermöbeln, die sich Dunia als eine Art Prostituierte verdiente hatte, wenn auch nicht von der Art, wie Lula es einst befürchtet hatte. Nun ja, Lula war wenigstens mobil. Sie konnte über den Fluss umziehen, ohne dazu einen Zwanzigtonner zu brauchen, den sich Dunia hoffentlich noch leisten konnte, wenn sie aus den Trump Towers geworfen wurden. Lula war wie ihre Vorfahren, die all ihr Hab und Gut auf Eselrücken geschnallt hatten und zu neuen Ufern aufgebrochen waren.
    Das echte Problem beim Packen war, dass es ihre Gedanken so wenig beschäftigte und sie schutzlos den schauderhaften Erinnerungen an das gestrige Gespräch mit Mister Stanley überließ. Lula zuckte zusammen, als sie daran dachte, wie Mister Stanley vorgeschlagen hatte, in sein Arbeitszimmer zu gehen. Komm in meinen Salon, sagte die Spinne zur Fliege. Und weil sie befürchtete, ihre Entschlossenheit könnte ihr abhanden kommen, hatte Lula noch in der Küche verkündet, sie werde gehen. Selbst jetzt schoss ihr die Röte ins Gesicht bei der Erinnerung, wie sich Mister Stanley bemüht hatte, seinen Schock und seine Enttäuschung in die legitime Besorgnis eines alleinerziehenden Vaters der oberen Mittelschicht zu verwandeln, der mit einem vollkommen alltäglichen Haushaltshilfenotfall fertig werden musste.
    »Man hätte doch gedacht, Sie würden wenigstens ordnungsgemäß kündigen«, hatte Mister Stanley beleidigt gesagt. »Nach all dieser Zeit erscheinen einem vierzehn Tage als das Mindeste …«
    »Ich würde bleiben, wenn Sie mich bräuchten«, hatte Lula gesagt. »Wenn Sie jemanden bräuchten, um mich zu ersetzen. Nehmen Sie es mir nicht übel, Mister Stanley, aber Zeke geht im Herbst aufs College. Ich tue hier eigentlich gar nichts. Er kann in den Laden fahren und sich sein Essen selbst in der Mikrowelle warm machen. Tut mir leid, aber er wird erwachsen. Und ich bin mir nicht sicher, ob es das Beste für Zeke wäre, mich noch zwei Wochen länger hierzuhaben, wenn er weiß, dass ich gehe.«
    »Das Beste für Zeke« waren die Zauberworte, die Mister Stanley garantiert in die Knie zwangen. Er hatte gesagt: »Ich nehme an, ich hätte nach unserem gestrigen Gespräch damit rechnen sollen.«
    Lula hatte geantwortet: »Zeke ist ein prima Junge. Ein sehr starker und wunderbarer Mensch. Sie sind in einer schwierigen Situation
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