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Luegen auf Albanisch

Luegen auf Albanisch

Titel: Luegen auf Albanisch
Autoren: Francine Prosse
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Bau und sein Junges zu beschützen? Während seiner Tirade sagte er nicht ein einziges Mal »man« anstelle von »ich«, und mit jedem Wort sank seine Stimme tiefer von den Nebenhöhlen in seine Brust. Die Vorstellung von Mister Stanley als nicht angezapftem Reservoir unerwarteter Qualitäten erfüllte Lula mit Bedauern. Sie würde nicht mehr lange genug hier sein, auch nur noch einen verborgenen Aspekt seiner Persönlichkeit zu entdecken.
    Aber Zeke wäre derjenige, der ihr wirklich fehlen würde. Vielleicht konnten Zeke und sie Freunde bleiben. Sie könnte ihn im College besuchen. Unter ihr öffnete sich ein Abgrund, bloßgelegt durch ihre Unfähigkeit, sich einen Ort vorzustellen, von dem aus sie Zeke besuchen könnte.
    Wenn der sanfte Mister Stanley Schwierigkeiten mit Augenkontakt hatte, so war der Blick seiner Feuer speienden Inkarnation ein direkt auf Lula gerichteter Strahl. Aber schließlich blinzelte Mister Stanley, verstummte und wartete auf ihre Antwort.
    Lula legte alles, was sie hatte, in das ultimative, Mister Stanley erfreuende Schulterzucken. Sie versuchte ihre sich hebenden Schultern mit tausend Jahren Balkangeschichte anzufüllen, mit dem Das-hatten-wir-doch-schon der Invasion, Ermordung, Brandschatzung und dem Exil, dem Was-soll-man-denn-machen gescheiterter Monarchien, Imperien, Versprechen und Gaunereien, dem Was-erwartest-du-denn des Kommunismus, der Jahrzehnte, in denen man nichts wissen, nichts tun, nichts sagen, nur die Schultern zucken und seinen Kindern das Schulterzucken beibringen konnte. Sie hob die geöffneten Hände mit dem Du-kannst-mir-nichts-erzählen-was-ich-nicht-schon-weiß-Überdruss eines Menschen, der die prägenden Jahre der Kindheit unter der paranoiden Herrschaft eines psychotischen Diktators verbracht hat, eines Menschen, der wirtschaftlichen Zusammenbruch und Aufstände und chaotische Gewalt erlebt hat, und überall Gangster, die alles unter ihre Kontrolle brachten, offen und aus dem Schatten heraus.
    Sie sagte: »Zeke war nie in Gefahr. Zumindest nicht durch Alvo.«
    »Wie können Sie sich da sicher sein?« Mister Stanley wollte, das sie sich sicher gewesen war.
    »Ich bin mir sicher«, sagte Lula. »Vertrauen Sie mir.«
    »Ich wünschte, das könnte ich«, sagte Mister Stanley.
    »Dann werfen Sie mich raus«, sagte Lula.
    »Nicht so hastig«, sagte Mister Stanley. »Wir hatten schon genug Dramen in diesem Haus. Lassen Sie uns über Alternativen nachdenken. Uns Zeit nehmen. Es uns durch den Kopf gehen lassen.«
    Die Art, wie er »durch den Kopf gehen lassen« sagte, erfüllte Lula mit Verzweiflung. Sie sagte: »Ich sollte vermutlich kündigen.«
    »Was bringt Sie darauf, dass Sie kündigen können?« Mister Stanleys Stimme hatte sich wieder gehoben. »Haben Sie über Ihre Chancen nachgedacht, einen anderen Förderer zu finden, nachdem Sie meinen Kindheitsfreund gebeten haben, seine Integrität zu opfern, seine Karriere aufs Spiel zu setzen, um irgendeinem Gangster zu helfen, den Sie ins Haus gelassen haben, während mein Sohn und ich ahnungslos in unseren Betten lagen?«
    »Er ist kein Gangster«, sagte Lula. »Soll das heißen, Sie fördern mich nicht mehr, wenn ich nicht hier arbeite?«
    »Nein«, sagte Mister Stanley. »Das soll es überhaupt nicht heißen. Wenn es auch schwieriger werden könnte. Juristisch gesehen. Schlafen wir darüber. Greifen wir das Thema wieder auf, wenn ich morgen Abend nach Hause komme. Nichts geht über vierundzwanzig Stunden Pause, um seine Gedanken zu ordnen.«

14
    ______
    Am nächsten Morgen wartete Lula bis elf, eine Uhrzeit, zu der selbst die verwöhnteste Frau eines Schönheitschirurgen wach sein würde. Trotzdem klang Dunia groggy, als sie sich meldete. Eine rücksichtsvollere Freundin hätte vielleicht gefragt, wie es Lula gehe.
    Dunia sagte: »Lieber Gott, möge mich bitte jemand erschießen. Ich hab so einen Kater.«
    »Sei vorsichtig mit dem, was du dir wünschst«, sagte Lula.
    »Wie altmodisch«, murmelte Dunia. »Du klingst wie meine Oma.«
    »Hast du mit Doktor Steve gefeiert?«
    »Welchem Doktor Steve?«, fragte Dunia. »Doktor Steve war in einem anderen Leben.«
    »Wie bitte?«, fragte Lula.
    »Die Ehe ist zu Ende. Sie wird annulliert. Was alle glücklich macht. Einschließlich Steves Familie. Vor allem Steves Familie. Keine hässlichen Scheidungsverhandlungen, keine geldgierigen Anwälte, kein Skandal. Nur eine gewaltige Abfindung, bar auf mein Konto eingezahlt. Es stellte sich heraus, dass Doktor Steve und der
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