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Das Kloster der Ketzer

Das Kloster der Ketzer

Titel: Das Kloster der Ketzer
Autoren: Rainer M Schroeder
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    Der Hufschlag von mindestens einem halben Dutzend Pferden und das Rattern von eisenbeschlagenen Wagenrädern drangen vom Ende der lang gezogenen Allee zum Landgut Erlenhof herauf. Was als schwaches, dumpfes Trommeln in der Ferne jenseits der nebelverhangenen Hügel begann, schwoll innerhalb weniger Augenblicke zu einem immer lauter werdenden Galopp der Bedrohung an.
    Elmar Gramisch, der stämmige und an den Schläfen allmählich schon grau werdende Verwalter des bescheidenen Gutes im oberen Ilztal, war mit einem Satz am Fenster des Krankenzimmers seiner Herrin. Angestrengt starrte er in die neblig feuchte Abenddämmerung hinaus und versuchte zu erkennen, wer sich da dem Gutshof in fliegendem Galopp näherte – und in welcher Mannesstärke. Der rasende Hufschlag so vieler Pferde signalisierte Gefahr. Dennoch hoffte er wider alle Vernunft, dass sich in den nächsten Augenblicken nicht als wahr herausstellte, was das anonyme Warnschreiben an drohendem Unheil angekündigt hatte.
    Ein Bote aus Passau hatte den Brief mit der alarmierenden Nachricht erst vor wenigen Minuten auf Erlenhof abgegeben. Wem Gisa von Berbeck, die todsieche Herrin des Landgutes, die Warnung verdankte, ließ sich nicht feststellen. Ihr Verfasser hatte sich weder im Text noch am Ende der sichtlich hastig niedergeschriebenen Zeilen zu erkennen gegeben. Auch hatte sich im rotbraunen Lack, mit dem das Schreiben verschlossen
gewesen war, kein Abdruck einer Petschaft, eines Siegelrings gefunden. Und der unscheinbare jugendliche Bote, der zweifellos zum einfachen Passauer Stadtvolk gehörte, hatte ebenso wenig zu sagen gewusst, von wem genau das Schreiben stammte. Er war für seine Dienste gut bezahlt worden und hatte nicht lange gefragt, wer seinen Meister damit beauftragt hatte, ihn den Brief so schnell wie möglich nach Erlenhof im oberen Ilztal bringen zu lassen.
    »Wer ist es? … Was seht Ihr, Elmar? … Müssen wir wirklich mit dem Schlimmsten rechnen?« Die kraftlose Stimme der Gutsherrin Gisa von Berbeck zitterte vor Anspannung.
    »Ja, ich fürchte, das müssen wir! … Und da sind sie schon!«, rief Elmar Gramisch bestürzt, als die länger werdenden Schatten zwischen den alten, knorrigen Bäumen im nächsten Moment den Blick auf eine Gruppe Reiter und eine Kutsche freigaben, die von einem Vierergespann fast schneeweißer Schimmel gezogen wurde. »Das muss die Kutsche des Domherrn sein! Und er hat sieben … nein, acht bewaffnete Dienstmänner in seinem Gefolge!«
    »Barmherzige Muttergottes! Es stimmt also, was hier in dem Brief geschrieben steht! Tassilo schreckt offenbar wirklich nicht davor zurück, sich jetzt auch noch an dem Jungen zu vergreifen! Schnell, den Brief! Werft ihn ins Feuer! Wer immer ihn geschrieben hat, seine Warnung darf hier nicht gefunden werden!«
    Elmar Gramisch fuhr vom Fenster herum und trat schnell wieder zu seiner Herrin, die seit Monaten an das Krankenbett gefesselt war. Der unabwendbar nahende Tod stand ihr ins Gesicht geschrieben, das unter einer bestickten Haube hervorlugte. Die Haut, die sich über den Knochen spannte, schien zum Zerreißen dünn und fast durchsichtig zu sein. Es schmerzte ihn jeden Tag aufs Neue, sie so hinfällig und kraftlos zu sehen,
kannte er sie bis zum Ausbruch der verzehrenden Krankheit doch jahrzehntelang nur als eine bewunderungswürdige Person von großer Güte, außerordentlicher Tatkraft, heiterer Bodenständigkeit und bezaubernder Anmut. Ihr körperlicher Verfall vermochte seiner Verehrung und unerschütterlichen Treue jedoch nicht das Geringste anzuhaben.
    »Gottes Fluch über Tassilo, dass er nicht einmal vor der Ungeheuerlichkeit zurückschreckt, Sebastian zu verschleppen und ihn für seine Machtspiele missbrauchen zu wollen!«, zischte Gisa von Berbeck und ballte die knochige Hand zu einer Geste ohnmächtigen Zorns.
    »Das dürfen wir nicht zulassen!«, rief Elmar Gramisch, während er ihr die anonyme Warnung abnahm, das Blatt zusammenknüllte und ins Kaminfeuer warf. »Ich werde Sebastian dem Domherrn jedenfalls nicht ausliefern!«
    Gisa von Berbeck hatte sich in dem hohen Bett unter dem brokatverzierten Baldachin mit großer Kraftanstrengung zwischen all den Kissen in eine halb aufrechte Stellung gebracht. »Dann kann ich auf Eure Hilfe bauen?« Ein Hoffnungsschimmer leuchtete in ihren fiebrigen Augen auf, während von unten aus dem Hof eine herrische Stimme zu hören war, die barsche, knappe Befehle erteilte.
    »Müsst Ihr das noch fragen? Wisst Ihr denn nicht, wie sehr
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