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Luegen auf Albanisch

Luegen auf Albanisch

Titel: Luegen auf Albanisch
Autoren: Francine Prosse
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gekommen, dass man den Fall so schnell abschließen könnte. Warum hatte Lula sich nicht von Genti in die Stadt fahren lassen?
    Lula verließ die Verhandlung und eilte den Flur entlang, schaute in andere Gerichtssäle, suchte nach jemandem, den sie zu Alvo befragen könnte. Ein Gerichtsdiener schickte sie zu einem anderen Gerichtsdiener, der sie zu einem Schalter schickte, von dem eine Frau sie in ein Büro schickte, in dem ihr jemand eine Telefonnummer gab, bei der sie anrufen konnte. Genau wie in Albanien.
    Vielleicht würde sie nie erfahren, wie Alvos Geschichte endete. Möglich, dass für Lula die Geschichte hier enden würde. Als sie Alvos Handynummer anrief, entschuldigte sich eine elektronische Stimme, die Nummer sei nicht mehr erreichbar. Lula blickte sich hektisch um, womit sie die Wachleute, die bereits ihr terroristisches Hetzen von Gerichtssaal zu Gerichtssaal bemerkt hatten, noch wachsamer machte.
    Sie verließ das Gebäude und fuhr nach Hause. Vielleicht würde Genti vorbeikommen und sie auf den neuesten Stand bringen. Inzwischen hatten sie vermutlich spitzgekriegt, dass Don keinen Finger für Alvo gerührt hatte.
    Niemand kam vorbei. Niemand rief an.
    Später am Nachmittag kam Zeke heim. Seine Körperhaltung nervte sie. Sein aufgesetztes Lächeln nervte sie. Die Zigarettenasche auf seinen schwarzen Jeans nervte sie. Die Art, wie sein schwarzes Haar alles Licht im Zimmer aufsaugte, nervte sie. Armer Zeke. Armes kleines Baby. Ginger war seine Mutter. Wie sich Lulas Herz verhärtet haben musste, um etwas anderes als Liebe und Freundlichkeit und Mitgefühl zu empfinden.
    Sie fragte: »Möchtest du heiße Schokolade?«
    Zeke sagte: »Habe ich irgendeine gute Tat vollbracht, von der ich nichts weiß?« Seine Dankbarkeit war deprimierend. Es war unheimlich, wie leicht er zu einem Abklatsch von Mister Stanley heranwachsen konnte. Unter den schwarz gefärbten Haaren und den Piercings war er der Sohn seines Vaters. Aber was war so schlimm daran? Mister Stanley war ein anständiger, gutmütiger Mensch.
    »Du hast keine besonders gute Tat vollbracht«, sagte Lula. »Du bist gut.«
    »Mein Dad bezahlt dich dafür, das zu behaupten«, sagte Zeke.
    »Das stammt von mir, nicht von ihm.« Eine Stimme in Lulas Kopf schien eine Art Rede zu halten, wie dankbar sie für die Zeit sei, die sie mit Zeke verbracht hatte, und wie sehr er ihr geholfen habe, sich in dem neuen Land einzuleben. Warum klang die Stimme so feierlich? Weil sie sich den Nachruf auf ihr Leben mit Zeke vortragen hörte. Lula trat ans Fenster, vor dem sie, wie sie wusste, das trostlose Gesprenkel des Schnees noch unglücklicher machen würde.
    Sie sagte: »Wir haben noch Pizza im Gefrierschrank. Wir brauchen nicht rauszugehen.«
    »Geht’s dir nicht gut?«, fragte Zeke.
    »Ich bekomme eine Erkältung«, sagte Lula. »Dr. Lula verschreibt heiße Schokolade.«
    Lula erinnerte sich, hinten im Küchenschrank Kakao gesehen zu haben. Die Verpackung war altmodisch gestaltet, und der Inhalt war wohl auch nicht mehr der jüngste. Aber dank der wundersamen Erfindung von Konservierungsstoffen schmeckte die heiße Schokolade köstlich. Hatte Ginger für Zeke Kakao gemacht? Zeke schien sich von der Erinnerung an seine Mutter diesen kostbaren Heiße-Schokolade-Moment mit Lula nicht verderben zu lassen.
    Etwas später machte Lula eine Pizza warm und ließ sie für Zeke stehen. Mojitos waren zu viel Arbeit. Sie konnte auch ohne leben. Sie ging in ihr Zimmer und legte sich hin. Sie schlief ein und erwachte in ihren Kleidern. Sie dachte, es sei neun Uhr morgens. Es war neun Uhr abends. Sie konnte Mister Stanley nicht gegenübertreten. Sie konnten das abendliche Abfragen überspringen. Früher oder später würde Don seinem Freund Stan von diesem Mann erzählen, für den Lula gelogen hatte, und wie sie versucht hatte, Don ebenfalls zum Lügen zu überreden. Ihr Glück würde nicht ewig währen. Es verflüchtigte sich bereits.
    Sie nahm die letzte von Gingers Pillen. Nach einer Weile schaute sie auf die Uhr. Stunden waren vergangen. Hatte sie wach in der Dunkelheit gelegen, oder war sie eingeschlafen? Sie fühlte sich verkrampfter, aber weniger dumm. Intelligent genug, zu registrieren, dass jemand an die Tür klopfte.
    »Lula«, brüllte Mister Stanley. »Kann ich Sie unten sprechen?«
    Mister Stanley sei von ihr enttäuscht. Mister Stanley sei hintergangen worden. Mister Stanley habe mehr von ihr erwartet. Wie könne Lula sein Vertrauen so missbrauchen, sich mit Dieben und
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