Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Black Box: Thriller (German Edition)

Black Box: Thriller (German Edition)

Titel: Black Box: Thriller (German Edition)
Autoren: Michael Connelly
Vom Netzwerk:
Schneewittchen
    1992
    I n der dritten Nacht stieg die Zahl der Toten so massiv und so rasch an, dass viele Mordermittlerteams der jeweiligen Polizeireviere aus den vordersten Linien der Unruhenbekämpfung abgezogen und nach dem Rotationsprinzip bei Notfällen in South Central eingesetzt wurden.
    Detective Harry Bosch und sein Partner Jerry Edgar wurden von der Hollywood Division abgestellt und einem mobilen B-Schicht-Team zugeteilt, zu dem aus Sicherheitsgründen auch zwei mit Schrotflinten bewaffnete Streifenpolizisten gehörten. Sie wurden überall dorthin geschickt, wo Not am Mann war – wo eine Leiche auftauchte. Das Viermannteam war in einem schwarz-weißen Streifenwagen unterwegs und fuhr von Tatort zu Tatort, ohne sich lange an einem aufzuhalten. Das war zwar nicht die korrekte Art, Mordermittlungen durchzuführen, nicht einmal annähernd, aber mehr war angesichts der unwirklichen Verhältnisse einer aus den Fugen geratenen Stadt nicht machbar.
    South Central war ein Kriegsgebiet. Überall brannte es. Horden von Plünderern zogen von Geschäft zu Geschäft, und mit dem über der Stadt aufsteigenden Rauch verflüchtigten sich auch noch die letzten Reste von Moral und Anstand. Die Gangs von South L.A. waren angetreten, die Herrschaft über die Dunkelheit an sich zu reißen, und hatten ihre internen Streitigkeiten beigelegt, um eine Einheitsfront gegen die Polizei zu bilden.
    Bereits über fünfzig Menschen waren ums Leben gekommen. Ladenbesitzer hatten Plünderer erschossen, Nationalgardisten hatten Plünderer erschossen, Plünderer hatten Plünderer erschossen, und dann waren da noch die anderen – Mörder, die das Chaos der Unruhen nutzten, um alte Rechnungen zu begleichen, die nichts mit den aktuell hochschlagenden Emotionen und den auf der Straße ausgetragenen Kämpfen zu tun hatten.
    Zwei Tage zuvor waren die rassischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verwerfungen, die unter der Stadt verliefen, mit seismischer Wucht an die Oberfläche gebrochen. Der Prozess gegen vier LAPD -Officer, die beschuldigt worden waren, einen schwarzen Autofahrer nach einer wilden Verfolgungsjagd brutal verprügelt zu haben, war mit Freisprüchen für die Angeklagten zu Ende gegangen. Die Bekanntgabe der Entscheidung der ausschließlich aus Weißen bestehenden Jury in einem siebzig Kilometer entfernten Vorstadtgericht hatte in South Los Angeles sofortige Wirkung gezeigt. Kleine Gruppen aufgebrachter Menschen versammelten sich an Straßenecken, um die Ungerechtigkeit des Urteils anzuprangern. Und rasch nahmen die Proteste gewalttätige Züge an. Die stets wachsamen Medien berichteten live aus der Luft und übertrugen die Bilder in jeden Haushalt der Stadt und bald auch der Welt.
    Die Polizei wurde auf dem falschen Fuß erwischt. Als das Urteil publik wurde, war der Polizeichef nicht im Parker Center, sondern auf einer politischen Veranstaltung. Auch andere Mitglieder des Führungsstabs waren nicht auf ihrem Posten. Niemand übernahm in jenem Moment die Verantwortung, und, noch wichtiger, niemand schritt ein. Die ganze Polizei verfiel in Schockstarre, und die Bilder ungezügelter Gewalt verbreiteten sich wie ein Lauffeuer über die Fernsehschirme der Stadt. Bald herrschte Chaos in Los Angeles, und die Stadt stand in Flammen.
    Auch zwei Nächte später noch war der beißende Gestank von brennendem Gummi und schwelenden Träumen allgegenwärtig. Flammen von tausend Feuern flackerten über den Dächern der Stadt, als tanzte der Teufel über den dunklen Himmel. Pausenlos gellten Schüsse und wütende Schreie hinter dem Streifenwagen her. Doch die vier Männer in 6 -King- 16 hielten wegen keinem von ihnen an. Sie hielten nur für Morde an.
    Es war Freitag, der 1 . Mai. Als B-Schicht wurde in Notstandssituationen die von sechs Uhr abends bis sechs Uhr morgens dauernde Nachtschicht bezeichnet. Bosch und Edgar saßen hinten, die Streifenpolizisten Robleto und Delwyn vorn. Delwyn hatte auf dem Beifahrersitz seine Flinte so im Schoß liegen, dass ihr Lauf aus dem offenen Seitenfenster zeigte.
    Sie waren zu einer Leiche unterwegs, die in einer Durchfahrt am Crenshaw Boulevard gefunden worden war. Der Anruf war von der California National Guard, die wegen der Unruhen in die Stadt beordert war, an die Kommunikationszentrale des Notstandskrisenstabs weitergeleitet worden. Es war erst halb elf Uhr abends, aber die Meldungen häuften sich. Einen Mordfall hatte King- 16 seit Schichtbeginn bereits übernommen – ein Plünderer, der
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher