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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang
Autoren: Petra Oelker
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noch weißer macht. Doch das Wetter der letzten Tage hat sie beschmutzt, nun müssen wir sie noch einmal waschen. Aber dann werden sie nicht im Gehenken-Haus getrocknet, sondern in den warmen Sälen, das geht um diese Jahreszeit viel schneller, und wer weiß, ob nicht schon morgen der nächste Regensturm kommt.»
    Claes kannte die großen Bleichwiesen, so lange er sich erinnern konnte. Innerhalb der Mauern hatten sie längst keinen Platz mehr, Schwarzbachs Bleiche lag weit vor der Stadt an der Isebek. Die zwanzig bis vierzig Brabanter Ellen langen Bahnen, gegen den Wind mit Schlaufen an in die Erde geschlagenen Pflöcken befestigt, lagen wochenlang auf der Wiese und wurden von den Bleichern immer wieder mit frischem Wasser besprengt. Als Junge hatte er gedacht, daß die Männer mit ihren durchlöcherten Bleichschaufeln nicht nur Wasser aus den Bächen oder den mit ihnen verbundenen hölzernen Rinnen schöpften und auf die Stoffe regnen ließen, sondern weiße Farbe. Erst später hatte er gelernt, daß Sonne und Wasser gemeinsam die Kraft haben, aus einem fleckigen, gelblichen Stoff einen rein weißen zu machen.
    «So haben wir die Muster gerade zur rechten Zeit ausgesucht?»
    «Unbedingt, obwohl die Alster noch zu aufgewühlt ist. Wir können die Bahnen erst in einigen Tagen spülen, wenn das Wasser wieder rein ist. Aber ich werde dafür sorgen, daß die Öfen ordentlich eingeheizt werden.»
    Ein Knecht brachte Claes Herrmanns’ Pferd, und während er in den Sattel stieg, fuhr Schwarzbach eilig, als wolle er beweisen, wie zuverlässig und schnell die Arbeit nun vorangehen werde, fort: «Dann müssen die Bahnen nur noch gestärkt und wieder getrocknet werden. Und hart gemangelt, damit auch die letzten kleinsten Unebenheiten verschwinden und den Druck nicht stören können.»
    Claes nickte. Er wußte, daß die Vorbereitung der Stoffe viel Zeit in Anspruch nahm. «Ich danke Euch für Eure Geduld und auch Mademoiselle Freda. Sie war mir eine große Hilfe.» Dann drückte er den Dreispitz fester auf den Kopf und lenkte sein Pferd, einen jungen, aber schon gut an das städtische Gedränge gewöhnten Fuchs, aus dem Hof der Kattundruckerei und durch den Gang in den Neuen Wall. Er war sehr zufrieden. Die Stoffe würden schön und auch rechtzeitig fertig werden. Im Winter, wenn die Flüsse zufroren, konnte nicht gedruckt werden, weil das ständige Waschen und Spülen nun einmal klares, fließendes Wasser erforderte. Aber ein paar Wochen würde der Frost schon noch warten.
    Es wäre viel angenehmer gewesen, das Musterbuch in seinem eigenen Kontor durchzusehen, vielleicht hätte er Augusta dann doch dazu bewegen können, einen Blick auf die Blätter zu werfen. Aber diese Musterbücher waren den Kattunmanufakteuren ein Heiligtum, nur die Rezepte der Coloristen waren noch kostbarer. Auf die durfte niemand, nicht einmal der beste Kunde, auch nur einen Blick werfen. Vor allem von der Qualität dieser Rezeptehingen die Leuchtkraft und die Haltbarkeit der aufgedruckten Farben ab. Auch wenn die Männer in den Kattundruckereien keiner Zunft angehörten, waren sie doch hochbezahlte, selbstbewußte Handwerker. Vor allem die Coloristen, wahre Alchimisten, die die Zusammensetzung ihrer Mixturen hüteten wie Rezepte fürs Goldmachen.
    Er hätte gerne eine kleine Pause im Kaffeehaus gemacht, aber weil die Musterwahl viel länger gedauert hatte, als er angenommen hatte, beeilte er sich. Christian würde ihn schon dringlich im Kontor erwarten.
    Doppelt so viele Wasserträger wie sonst waren heute in der Stadt und auch auf dem Jungfernstieg unterwegs. In den Fleeten, seit Tagen bis zum Rand gefüllt, schwamm jede Art von Unrat und ertrunkenem Kleingetier. Wer immer es sich leisten konnte, vermied in diesen Tagen, Trinkwasser daraus zu schöpfen, und kaufte das gute aus den Feldbrunnen vor der Stadt. Der Mann mit den Reifen hingegen machte schlechte Geschäfte. Wie alle Wege der Stadt war auch die Promenade an der Alster, die vornehmste und belebteste innerhalb der Mauern, nach den schweren Unwettern viel zu schlammig, als daß ein Kind seinen Reifen auch nur zwei Schritt weit vorantreiben konnte.
    Der weite Platz vor dem Rathaus, an dem auch das Gericht, die Bank, die Stadtwaage und die Börse lagen, leerte sich. Die Börsenzeit war vorüber. An einer der Säulen der offenen Halle befestigte ein Junge einen Theaterzettel. Claes beugte sich im Sattel vor und las, daß man morgen
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