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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang
Autoren: Petra Oelker
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brennendes Heimweh nach ihrer Insel bekommen. Auch auf Jersey waren die Winter oft rauh und stürmisch. Einmal hatte es so heftig gefroren, daß die Wassertröge für das Vieh aufgestoßen werden mußten. Aber das war ein so besonderes Ereignis gewesen, daß die alten Frauen in den grauen Steinhäusern allerlei Zukünftiges daraus gelesen hatten. Sie stellte sich vor, wie es wäre, wenn die weite Bucht vor St.   Aubin zufrieren würde, und mußte lachen. Es war einfach undenkbar. Die Elbe hingegen war in beiden Wintern, die sie nun schon in Hamburg verbracht hatte, von einem Ufer zum anderen wochenlang unter einer festen Eisdecke verschwunden gewesen. Halb Hamburg war darauf spazieren gefahren, die Milchbauern auf den Inseln hatten ihre hölzernen Kannen statt in Boote auf Schlitten geladen, Christian, Claes’ älterer Sohn, und seine Freunde trugenbeim Schlittschuhlaufen blaue Flecken und verrenkte Glieder davon, und einmal hatten sogar die Stadtpfeifer ein Konzert auf dem Eis gegeben. Man trank dazu Punsch und warmes Bier, aß fette, heiße Würste und süße Kuchen – es war ein großes Spektakel, und alle hatten das außerordentlich amüsant gefunden. Wahrscheinlich stimmte es, wenn die Leute sagten, man könne nur eine Hamburgerin sein, wenn schon die Großeltern hier geboren waren.
    In der Diele nahm Blohm ihr den Korb ab und folgte seiner Herrin mit ihren Blumen in die Küche.
    «Wie wunderschön, Madame!» Elsbeth klatschte begeistert in die mehlweißen Hände, sie buk gerade Zitronenpasteten, und in der Küche duftete es wie in einer Orangerie. «Doch was machen wir mit Euren Fingern?»
    Elsbeth entging nichts, und da sie äußerst praktisch war, sahen Annes Hände nach einer gründlichen Behandlung mit feinem weißem Sand von Bornholm und bestem Butterfett zwar rot wie Rüben, aber wieder glatt und weich aus.
    Eine halbe Stunde später standen zartduftende Rosen auf Claes’ großem Tisch im Kontor. Gerade als Anne das große, bunte Bukett im Salon ein wenig gefälliger arrangierte, trat Niklas ein.
    «Bonjour, Madame.» Er verbeugte sich förmlich. «Ihr habt nach mir geschickt?»
    Er sah Anne nur für einen Moment an, dann heftete sich sein Blick, viel zu alt für zwölfjährige Augen, an die Blumen. Wenn sie auch wußte, daß er nichts mochte, was sie mochte, glaubte sie, einen kleinen Schimmer von Interesse zu erkennen. Das schien ihr ungewöhnlich, aber er war auch ein ungewöhnliches Kind, und es war einen Versuch wert.
    «Magst du diese Blumen?»
    «Sie sind Geschöpfe Gottes.»
    Amen, dachte Anne. Aber sie nickte und sagte: «Gewiß die allerschönsten.» Sie zog einen Stengel Eisenhut aus der Vase und steckte ihn behutsam zwischen zwei Margeriten.
    «Ich möchte dich um etwas bitten, Niklas. Ich war gerade in Harvestehude, das Spalierobst sieht furchtbar traurig aus. Die Bäume sind noch jung und zudem sehr empfindlich. Der Gärtner hat alles für sie getan, aber ich fürchte, es war vergeblich. Ich dachte, vielleicht könntest du uns helfen.»
    «Ich weiß nichts von Bäumen, Madame. Gewiß wißt Ihr selbst viel mehr darüber.»
    «Ich weiß eine ganze Menge über Blumen und inzwischen auch einiges über Bäume, das stimmt. Aber doch nicht genug, und das Spalierobst   … Nun, ich dachte, weil du doch so häufig in der Commerz-Bibliothek studierst   … Ich weiß zwar nicht, ob es dort auch Bücher über die Pflanzenzucht gibt. Aber dein Vater sagt, dort gebe es Werke über alles. Ich bin zur Zeit so sehr mit anderen Dingen beschäftigt. Könntest du vielleicht einmal nachsehen, ob dort auch etwas über Spalierobst zu finden ist? Vielleicht sind diese Bäume für besondere Schädlinge anfällig, die wir nur nicht entdecken. Oder sie brauchen einen anderen Boden. Könntest du so freundlich sein? Es ist sehr wichtig für mich.»
    Niklas sah die Frau, die nun seine Stiefmutter war, an wie ein unbekanntes, unberechenbares Insekt. «Vater liebt es nicht, wenn ich so oft in die Bibliothek gehe», sagte er schließlich, «und ich finde Bäume auch nicht besonders interessant.»
    «Oh, das wußte ich nicht.»
    «Nein», sagte Niklas, und Anne verstand genau, was ermit dem kleinen, harten Wort sagen wollte. Sie wußte nichts von ihm, und er würde sie auch nichts wissen lassen.
    «Aber natürlich, Madame, bei Gelegenheit, wenn ich ein entsprechendes Werk finden sollte   … Habt Ihr mich deshalb rufen lassen?»
    «Auch deshalb, ja. Außerdem wollte ich dich daran erinnern, daß wir morgen abend eine
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