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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang
Autoren: Petra Oelker
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England. Claes seufzte. Der Zettel erinnerte ihn daran, daß Anne für diese Vorstellung eine Loge reserviert hatte. Und diesmal, hatte sie gesagt, wolle sie nicht wiederin Begleitung ihres Stiefsohnes, sondern an der Seite ihres Ehemannes ins Theater gehen. Claes seufzte noch einmal. Er wußte, diesmal war keine Ausrede gut genug. Aber immerhin, man gab eine Komödie. Vielleicht wurde es ja doch ein heiterer Abend.

2.   KAPITEL
    DIENSTAG, DEN 6.   OKTOBER, MITTAGS
    Die Kutsche rollte vor das Portal des Herrmannsschen Hauses am Neuen Wandrahm. Anne Herrmanns, ganz undamenhaft zerzaust und trotzdem ohne Haube, blinzelte gegen die Sonne. Das Haus, breit wie eine Bark und unter einem elegant geschwungenen Giebel fünf Etagen hoch, sah aus wie ein riesiger Taubenschlag. Jedes der zwölf doppelflügeligen Fenster der zweiten und dritten Etage war weit geöffnet, und in jedem zweiten, so schien es ihr, flatterten weiße Tücher wie aufgeregte Vögel. Elsbeth und ihre Mädchen, wie stets in zartgestreiften blauweißen Kattun gekleidet, polierten, nachdem Sturm und Regen endlich davongezogen waren, eifrig die Scheiben. Elsbeth, Köchin und Herrin des Haushalts, liebte reine Fenster über alles, für sie waren sie das wahre Aushängeschild eines wohlgeführten Hauses. In den schon makellosen Scheiben des Kontors und des Besuchersalons in der unteren Etage glitzerte die Sonne.
    Anne reckte wohlig ihre Schultern, öffnete den Schlag und stieg aus der Kutsche.
    «Laß nur, Brooks», rief sie dem Kutscher zu, der vom Bock springen, den Schlag öffnen und ihren Korb hineintragen wollte, «der Korb ist nicht schwer. Bring nur gleich den Wagen in die Remise.»
    Vielleicht, dachte sie, als sie den davonrollenden Rädernnachlauschte, war das in diesem Jahr die letzte Fahrt im offenen Zweispänner gewesen, und ob sie wollte oder nicht, mußte sie an den langen Winter denken, an die Nässe und Kälte, die für Monate nur blasse Sonne.
    Aber es war ja erst Oktober, und der war heute nichts als Wärme und Licht. Sie sah in den Korb, den sie aus ihrem Garten in Harvestehude mitgebracht hatte, und jeder Gedanke an den Winter war verflogen. Annes Garten war in Hamburg schon fast so bekannt wie die neue Michaeliskirche. Aber während das Gotteshaus allgemein als Zierde der Neustadt gelobt wurde, war der Herrmannssche Garten an der äußeren Alster höchst umstritten. Keine akkuraten Beete, keine harmonischen Farben, und auch wenn ein Springbrunnen bei der Ligusterhecke im Schatten der Robinie lieblich plätscherte – der Garten war kein Garten, sondern ein Park, wie es in ihrer englischen Heimat viele gab. Immerhin ließ sie keine Kühe und Schafe darin herumlaufen, und wenn die neuen, jüngeren Bäume, die sie erst im letzten Jahr gesetzt hatte, tüchtig wuchsen, so fanden die anderen Hamburger Gartenbesitzer, konnte ja vielleicht noch etwas daraus werden. Annes Garten machte trotzdem in Hamburg Mode.
    Sie sah auf ihre Hände und runzelte die Stirn. Im Prinzip war an ihnen nichts auszusetzen, heute jedoch sahen sie aus wie die Hände einer Kätnerin, die stundenlang in ihrem Acker gegraben hatte. Und genau das hatte sie auch getan. Der Blumengarten hinter dem Pferdestall, ein scheinbar wirres, tatsächlich aber der Natur abgeschautes Miteinander von wilden und gezüchteten Pflanzen, war in diesem Jahr ihre große Leidenschaft. Die Bäume wuchsen ja nun von allein, aber die zarten blühenden Gewächse bekamen nie genug von Annes Gärtnerei. Claes’ zarter Hinweis, daß das eigentlich Aufgabe der Gärtner sei oderdoch Elsbeths Sache, die außer ihren Kräutern ganz gewiß auch den Blumengarten gern pflegen wolle, hatte Anne mit einem abwesenden Lächeln einfach überhört. Die üppige Pracht in ihrem Arm, bunte Sternblumen und blauer Eisenhut, purpurne und leuchtendgelbe Dahlien, Margeriten, tiefrote und himbeerfarbene Rosen, eine letzte hellblaue, zart nach Vanille duftende Flockenblume und mattgrünes Schilf, war nach den schweren Regengüssen die letzte Ernte des Herbstes. Und das Ergebnis ihrer Hände Arbeit. Die würde sie sich nicht nehmen lassen.
    Der Gärtner und sein Gehilfe hatten genug zu tun in diesen Tagen, und auch wenn der Sturm fast alle Früchte von den Bäumen gerissen hatte, einen Korb Pflaumen hatte sie doch noch pflücken können. Die späten Äpfel, nun nichts als fleckiges Fallobst, konnte Benni morgen in die Mosterei bringen. Der Saft mochte für zwei Winter reichen.
    Spätestens im Januar würde sie wieder
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