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Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang
Autoren: Petra Oelker
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innehielten. «Schnell, du wirst im Theater gebraucht», und schon war sie wieder in der Küche verschwunden.
    Das Theater. Die silberne Haarspange, ihr einziges Stück von einigem Wert, hätte Elsi dafür gegeben, heute abend dort sein zu dürfen. Aber der Eröffnungsabend des neuen Theaters war nicht für Schankmädchen, und Kate hatte ihr nicht einmal erlaubt, auch nur für ein paar Minuten hinüberzulaufen, um wenigstens zuzuschauen, wie die Kutschen und Sänften sich vor dem Theater drängten, wieall die Herren und Damen, die Glücklichen, die ein Billett ergattert hatten, in ihren schönsten Kleidern das nagelneue Haus betraten. «Gaffen kannst du, wenn du alt bist», hatte Kate geknurrt, «jetzt wird gearbeitet.»
    Nicht mehr lange, hatte Elsi trotzig gedacht, und sie konnte sich so viele Theaterbilletts kaufen, wie sie mochte. Und ein Kleid aus feinstem indischem Kattun voller Goldfäden, Schuhe aus Seide, Federn und Spitze für das Haar, gut genug für die beste Loge. Aber das wußte niemand.
    Als sie vor ein paar Wochen, fremd in der Stadt und ohne einen Penny in der Tasche, an die Tür klopfte, hatten Joe und Kate sie, ohne viel zu fragen, aufgenommen. Sie beherrschte kaum ihre Sprache, aber die beiden gaben ihr einen Strohsack unter dem Dach und zwei, manchmal drei Mahlzeiten täglich und ab und zu ein freundliches Wort. Dafür mußte sie vom frühen Morgen bis in die Nacht im Haus und in der Schenke arbeiten. Das störte Elsi nicht, sie war keine, die sich auf der faulen Haut wohl fühlte, und wenn die Kerle nicht gerade gar zu unverschämt waren, machte ihr die Arbeit in der Schenke Vergnügen. Doch Elsi hatte Pläne. Für die lernte sie, wann immer sich eine Gelegenheit ergab, die Sprache dieses Landes, und sie lernte schnell. Aber für ihre Pläne brauchte sie auch Geld, mehr, als sie als Schankmagd jemals bekommen konnte. Sie vertraute auf ihr Glück, und dann, vor sieben Tagen, war es ihr begegnet. Bald würde sie genug haben, um fortzugehen. Nach London. Oder doch noch wie die anderen, die mit ihr in diese Stadt gekommen und auf dem nächsten Schiff weitergereist waren, nach den amerikanischen Kolonien. Aber ganz sicher nicht zurück   …
    Kates laute Stimme riß sie aus ihren Gedanken. «Wobleibst du? Vorhin wolltest du doch unbedingt zum Theater rennen. Nun darfst du sogar hinter die Bühne.»
    Das hagere Gesicht der Wirtin verzog sich zu einem wohlwollenden Grinsen. Sie mochte das Mädchen, die Kleine war sauber und fleißig, ihre gute Laune steckte alle an, und sie verstand es, mit den Gästen freundlich zu sein, ohne sich ihnen, wie Liz und Betty, anzubieten. Elsi, da war Kate sicher, würde nicht wie sie selbst in einer Schenke hängenbleiben.
    Sie zeigte auf einen großen, mit einem Leintuch bedeckten Korb auf dem Küchentisch. «Die Aufführung ist zu Ende, die Leute sind fort, nur einige der Damen und Herren Schauspieler und Musikanten sind noch da und haben Hunger. Hätten ja bei uns dinieren können, aber wenn sie lieber auf ihrer staubigen Bühne essen   … Daß du mir ja schnell wiederkommst. Da ist viel lockeres Volk dabei, auch wenn sie alle noch so sehr wie vornehme Leute aus London tun.»
    Eilig griff Elsi den Korb. Er war schwer, der Geruch von warmem Brot, gekochtem Schinken, Pudding und fetter Rindswurst stieg ihr süß in die Nase. Unterwegs würde Zeit genug sein, ein kleines Stück vom Schinken abzuzupfen.
    «Geh zum hinteren Eingang», rief Kate ihr noch nach, «der Bote hat gesagt, der vordere sei schon versperrt. Und paß auf, daß du dem Nachtwächter nicht über den Weg läufst.»
    Es ging schon auf Mitternacht. Der Mond verbarg sich hinter dichten Wolken, die Straße lag dunkel und verlassen. In der Tür zögerte Elsi einen Moment – sie hatte die Dunkelheit schon immer mehr gefürchtet als andere   –, doch dann trat sie entschlossen auf die Straße. Furcht hatte in ihren Plänen keinen Platz, und es war ja nicht weitbis zum Theater, nur die King Street hinunter und durch den Gang bei Clarksons Lederhandlung zum Hintertor.
    «Elsi.»
    Der Mann, dem die leise Stimme gehörte, trat aus einer Hofeinfahrt neben der Schenke und versperrte dem Mädchen den Weg.
    Vor Schreck hätte sie fast den Korb fallen lassen, aber dann erkannte sie ihn. «Joseph», flüsterte sie ärgerlich, «was machst du hier?»
    Er sah sie an und schwieg. Es war klar, was er hier machte. Er wartete auf Elsi, wie schon oft in den letzten Wochen. Den ganzen Abend hatte er gewartet, gehofft, sie
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