Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lorettas letzter Vorhang

Lorettas letzter Vorhang

Titel: Lorettas letzter Vorhang
Autoren: Petra Oelker
Vom Netzwerk:
eine
unbedeutend
jüngere Kollegin an Jahren, aber eine um
Äonen
jüngere an künstlerischer Raffinesse   …» Ganz sicher hätte er nur noch ein oder zwei Minuten länger solch honigsüßen Schaum schlagen müssen, Madame Hensel wäre dahingeschmolzen wie ein Sorbet im August, und Loretta hätte ihre Hauptrolle in dem neuen Stück ohne weitere Anfechtungen spielen können. Es war ja nur eines dieser leichten Nachspiele, die am Ende jeder Aufführung das von der Kunst ermüdete Publikum erheitern sollten, wie ein Dessert nach einem etwas zu fetten Braten.
    Aber leider, Loretta, wenig zartfühlend wie immer, ungeschicktwie selten, konnte sich gerade in diesem Moment nicht länger beherrschen.
    «Was heißt hier wenig bedeutend und weniger künstlerische Raffinesse!?»
    Rosina sah, wie sie sich, einen eifrig flatternden Fächer aus quittegelber Seide in der Hand, vor Seyler aufbaute.
    «Es ist ein exzellentes Stück, und Ihr versprecht mir so eine Rolle nun schon seit Monaten. Seit ich in dieser Stadt bin, spiele ich nichts als dumme Zofen und helfe in der Garderobe oder als Souffleuse aus. Alle Rollen, die Madame Hensel spielt, und das sind in der Tat fast alle, wenn sie sich darin nur in jeder Szene auf dem Proszenium präsentieren kann, laßt Ihr mich lernen. Für die Wiederaufführungen, habt Ihr mir gesagt. Nun gut, das wäre besser als nichts. Aber tatsächlich bin ich nur die zweite Besetzung, damit die Bühne nicht leer bleibt, falls Madame einmal ein Fieber ereilt. Und ereilt Madame ein Fieber? Niemals! Sie ist gesund wie ein fetter preußischer Ochse   …»
    Weiter kam Loretta nicht. Ein schriller Schrei zerschnitt die Luft, und Madame Hensels Schirm, ein zartes silbergrünes Gebilde voller Rüschen, allerdings mit stählernen Speichen und einem hübsch geschnitzten Knauf aus Walknochen, sauste auf Lorettas Schulter nieder. Bevor eine der Damen zur nächsten Attacke ausholen konnte, stürzten sich Löwen und Seyler in die Schlacht und trennten die beiden. Nicht zuletzt, weil zerkratzte Gesichter und blaue Augen bei der Vorstellung, die ja schon in wenigen Stunden beginnen sollte, für das Publikum äußerst irritierend gewesen wären. Daß Monsieur Löwen, obwohl er der ganzen Debatte doch nur stumm und ergeben zugehört hatte, aus dem Getümmel ohne Perücke, dafür mit einem blutroten Kratzer auf der Stirn hervorging, war dagegen ohne Belang.
    Madame Hensel sank, zur Ohnmacht ermattet, an Monsieur Seylers breite Brust, allerdings nur für einen Moment. Nun war der richtige Augenblick für einen anderen großen Auftritt. Sie richtete erst sich selbst, dann den verrutschten Turm ihrer Frisur auf, griff nach ihrem Schirm und sagte mit der Würde, die nur einer tatsächlich großen Tragödin nach einer solchen Posse gelingt: «Messieurs! Es ist Zeit für eine Entscheidung. Für mich ist hier kein Platz, keine Luft zum Atmen, wenn diese –
Actrice
», sie spuckte das Wort auf den Boden wie einen faulen Zahn, «an diesem Theater auch nur noch die Böden fegt.»
    Rosina konnte gerade noch hinter eine alte Kulisse schlüpfen, als Madame Hensel mit hochrotem Kopf und triumphierendem Lächeln an ihr vorbei zur Bühne rauschte und in einer der Kulissengassen verschwand.
     
    «Hübsch, wirklich sehr hübsch.» Schon zum drittenmal blätterte Claes Herrmanns durch das dicke Musterbuch, aber je mehr er blätterte, um so weniger konnte er sich entscheiden. Er rutschte unbehaglich auf dem zu weich gepolsterten Sessel herum und wünschte sich plötzlich brennend eine Tasse Kaffee mit einer Prise Kardamom. Wahrscheinlich war es sowieso eine dumme Idee, Anne mit einem neuen Stoff für die Wintersaison zu überraschen. Seine Frau hätte keine Mühe gehabt, selbst das Richtige zu wählen, aber dann wäre es schließlich keine Überraschung gewesen. Und er wollte sie unbedingt überraschen. Tatsächlich war er nicht selbst auf diese Idee gekommen. Wieder einmal war es Augusta gewesen, die ihn diskret, aber äußerst deutlich darauf hingewiesen hatte, daß auch eine amtlich bescheinigte Ehefrau ab und zu mit einer kostbaren Liebesgabe überrascht werden möchte.
    Der Teufel wußte, warum er sich auf Augustas Vorschlagmit dem Kattun eingelassen hatte, eine hübsche Meißner Dose für Nadeln und Knöpfe oder einer dieser mit viel Obst und kleinem Getier garnierten Tafelaufsätze wäre sehr viel einfacher zu bestellen gewesen. Aber Augusta hatte ihn für diese Idee nur ausgelacht und seine Bitte, den Stoff für ihn
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher