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Loreley

Titel: Loreley
Autoren: Kai Meyer
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sprühten, als Stahl auf Stein schlug. Zugleich hob unter den Zuscha u ern tosender Jubel an. Jammrich verbeugte sich grinsend, als hätte er soeben ein besonderes Bravourstück vol l bracht, stieg vom Hocker, verneigte sich noch einmal vor dem Grafen und seiner Gattin, dann nickte er den Wäc h tern zu. Jene ließen den beschämten Gastwirt laufen, der unter viel Spott und Hohn der Burgleute über den Hof eilte und wortlos durch das Tor verschwand.
    Ailis hatte schon früher von Schattenköpfungen g e hört, wie das königliche Recht sie Spielleuten und Gau k lern zugestand; mitangesehen aber hatte sie noch keine. Sie war nicht sonderlich beeindruckt von dem lächerl i chen Schauspiel. Vielmehr fragte sie sich, wie viel Narr e tei sich die Menschen noch einfallen lassen würden, um die Ödnis ihres Daseins zu bereichern.
    »Jammrich!«, rief da der Graf und übertönte den Lärm der Menge. »Ich wünsche dich umgehend im Burgsaal zu sehen.«
    »Zu Euren Diensten, Herr«, erwiderte der Spielmann lautstark, als gelte es, eine Botschaft zu verkünden. »Was kann ich für Euch tun?«
    »Später«, sagte der Graf gedämpft. »Wir wollen dri n nen darüber reden.«
    Jammrich verbeugte sich abermals, dann fiel sein Blick auf Fee. »Wird Euer bezauberndes Mündel mit d a bei sein, Herr?«, fragte er mit neckischem Grinsen und so deu t lich, dass jedermann es hören musste. »Ich will mich der schönsten Verse aus dem Orient entsinnen, um vor so viel Liebreiz zu bestehen.«
    Ein Knecht rief vergnügt aus der Menge: »Das gleiche hast du zum Weib des Wi r tes gesagt, du Lump! Hat er nicht deshalb die Bezahlung verweigert, weil seine Frau beim Klang deiner Lieder vor Scham die Humpen fallen ließ?«
    Sogleich tobte ausgelassenes Gelächter über den Burghof. Ailis sah nicht ohne Genugtuung, dass Fee p u terrot wurde.
    Der Graf lächelte, aber es wirkte gezwungen, keine s wegs belustigt. »Komm, Spielmann! Sei Gast in meinem Haus und höre, was ich dir zu sagen habe.« Damit drehte er sich um und ging. Seine Frau und Fee folgten ihm g e schwind. Zwei Wächter warteten, bis der Lange Jam m rich seinen Lohn vom Fuß der Eiche aufgesammelt und in einem Sack verstaut hatte, dann nahmen sie ihn hö f lich, aber bestimmt in ihre Mitte und traten mit ihm ins Haupthaus. Im Türrahmen drehte der Spielmann sich noch einmal um und winkte der Menge ausgelassen zu. Ein paar Knechte ließen ihn stürmisch hochl e ben, und als sie sich wieder ihrer Arbeit zuwandten, pfiffen sie frö h lich die Melodie seines Spiels.
    Der Graf bat den Spielmann in den Rittersaal, während die Wächter, aber auch Fee und die Gräfin, zurückble i ben mussten. Was immer er mit dem Langen Jammrich zu bereden hatte, musste für ihn von äußerster Wichti g keit sein. Fee zog s ich unter dem Vorwand zurück, sie wolle sich in ihrer Kammer einer Näharbeit widmen.
    Oben, im ersten Stock des Gebäudes, eilte sie auf Z e henspitzen in eines der Gästezimmer, das genau über dem Rittersaal lag. Schon seit Jahren wusste sie, dass sich unter einem der Betten ein kleines Loch im Boden befand, von dem aus man geradewegs auf die Tafel im Zentrum des Saales blicken konnte. Ein neugieriger B e sucher musste die Öffnung einst geschaffen haben, und sie war bis heute keinem der Erwachsenen aufg e fallen. Nur Fee und Ailis kannten sie. Sie waren vor Jahren beim Versteckspiel darauf gestoßen, als eine von ihnen sich unter dem Bett verkrochen hatte.
    Die Decke des Saales bestand aus hölzernem Spa r renwerk. Die Balken waren mit Wappen und feiner Schnitzerei, mit christlichen Sprüchen, Jahreszahlen und Heiligenf i guren verziert. Von hier oben konnte Fee nichts davon erkennen, doch sie kannte die meisten I n schriften auswendig und hätte jedes der Wappen aus dem Kopf aufzeichnen können. Während der Mahlzeiten mit ihrer Tante verbrachte sie viel Zeit damit, an die Decke zu starren. Nur wenn die Zeit ihres Onkels es gestattete, dass er sich zu ihnen gesellte, verliefen die Tischgespr ä che weniger trostlos. Genau genommen gab es übe r haupt nur dann Gespräche, wenn ihr Onkel anwesend war. Fee und die Gräfin hatten sich selten mehr zu sagen als das Tischgebet.
    Die lange Tafel stand auf einem Boden aus gestamp f tem, mit Schafhaaren verhärt e tem Lehm. Graf Wilhelm nahm Platz und forderte den Langen Jammrich auf, es ihm gleichzutun. Bald darauf saßen sie sich an den äuß e ren Enden der Tafel gegenüber. Von ihrem Aussicht s punkt unter dem Gästebett hatte Fee sie gerade
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